Die Rose von Byzanz
ist das Liebchen dieses Warägers, der meine Schwester entehrt hat. Sie wird dafür büßen.“
Danach fuhr sie herum und floh. Schluchzend stolperte sie durch den finsteren Gang, taumelte und knallte mit der Schulter gegen die Wand. Sie sank auf die Knie, wollte sich in der vollkommenen Finsternis der Angst und dem Schmerz ergeben.
Doch es gab etwas, woran sie sich festhalten konnte.
Eirik.
„Man könnte meinen, er sei in sie verliebt.“
Er hatte sie retten wollen.
Zu spät, zu spät.
Allzu spät hatte sie begriffen, dass sie diesen Nordmann nicht hassen konnte. Weil ihr Herz bereits für ihn entbrannt war, vom ersten Augenblick.
Sie liebte Eirik Hallgrimsson.
6. KAPITEL
„Aufgewacht!“
Es war Ermingards Stimme. Ihre Hand rührte an Johannas Schulter, in der ein Schmerz wütete, den sie sich erst nicht erklären konnte. Sie fuhr hoch, biss die Zähne zusammen und blinzelte.
Dann kam die Erinnerung. Die Nacht, die sie zitternd im Gang verbracht hatte. Der Morgen, als sie schließlich mit schmerzenden Gliedern zurückgehumpelt war in ihr Gemach.
Die Sonne stand inzwischen hoch am Himmel. Es war Zeit fürs Mittagessen.
Johanna sank zurück in die Kissen. Sie verspürte weder Hunger noch Durst. Nur Sehnsucht, die sich hart in ihren Körper fraß.
„Steh auf und zieh dich an. Der Herr mag es nicht, wenn seine Mädchen sich gehen lassen. Und richte dein Haar.“ Ermingards anfängliche Distanziertheit war einer Schroffheit gewichen, die Johanna langsam zu verstehen begann. Die Mädchen in den Gemächern, die Ermingard betreute, blieben nicht lange.
Ihre Hand fuhr zu ihrem Kopf, streichelte die weiche Fülle ihrer Haare. Sie saß wie gelähmt auf der Bettkante, erinnerte sich wieder an jedes grausige Detail der Unterredung zwischen Andronikos und Theodora. Sie schauderte. Das Zittern kehrte zurück. Kurz erwog sie, das Haar abzuschneiden. Aber den Gedanken verwarf sie sofort wieder. Sie war so stolz auf ihr Haar.
Sie zog sich an. Ein wollenes Unterkleid. Darüber ein Kleid aus schillernder Seide. Sie wusste, es war zu warm, um sich so zu kleiden, doch war sie um jede Schicht dankbar, die sie wärmte. Sie schlüpfte in die Pantoffeln, schloss behutsam den schweren Deckel der Truhe. Wie schön wäre es, sich in der weichen Fülle ihrer Kleider zu verstecken und einfach einzuschlafen. Nie mehr aufzuwachen …
Sie ging in den Speisesaal. Theodora und Livia saßen an der langen Tafel, während drei Jungen schweigend die Speisen auftrugen und eindeckten.
Um Theodoras rechtes Auge breitete sich ein violetter Bluterguss aus. Doch sie wirkte glücklich. Bis sie aufschaute und Johannas Blick begegnete.
„Setz dich zu uns“, sagte sie, nachdem Johanna einige Zeit schweigend an der Tür verharrte. „Hast du Hunger?“
Stumm schüttelte sie den Kopf, obwohl ihr Magen knurrte. Ihre Hände ballten sich vor dem Unterleib, umschlossen einander in der Weite der langen Kleiderärmel.
„Durst? Etwas Wein, mit Wasser verdünnt?“
Zögernd trat Johanna näher. „Ich habe euch gestern Nacht beobachtet“, sagte sie. Zugleich bereute sie die Worte wieder, aber Theodoras Gesicht wurde ganz weich, als erinnerte sie sich wieder an die Zärtlichkeiten und Grausamkeiten ihres Herrn, die er gleichermaßen auf ihren Körper verteilt hatte.
„Ja“, antwortete sie schlicht.
„Liebst du ihn?“
Livias Kopf schnellte hoch. Ihr Blick ging fragend zwischen Johanna und Theodora hin und her, doch sprach sie nicht.
Theodora nickte, ganz leicht nur. Dann senkte sie den Kopf.
„Hasst ihr mich jetzt?“, fragte sie leise.
„Du liebst dieses Monster?“ Livias Stimme war schrill. Überschlug sich vor Abscheu. Sie sprang auf, wich drei Schritte zurück. „Wie kannst du? Er bringt Mädchen um, weil es ihm Lust bereitet! Er hat dir das da angetan!“
„Aber er ist ein wunderbarer Mann“, flüsterte Theodora. „Er ist so zärtlich …“
Johanna schwieg.
Es war nichts Zärtliches, wenn ein Mann eine Frau so lange gegen ihren Willen nahm, bis sie glaubte, er täte es nicht bloß mit ihrem Einverständnis, sondern auch, weil sie ihn liebte und er ihre Gefühle erwiderte. Vielleicht gefiel sich Andronikos in seiner Rolle als Wohltäter. Was wusste sie schon von ihm?
Theodora wusste mehr.
Nein, sie wusste alles. Sie überlebte. Wer weiß, wie lange schon.
„Was kann ich tun …“ Sie räusperte sich, weil ihre Stimme versagte, rau von der Nacht auf dem kalten Steinfußboden. „Wie kann ich verhindern, dass er … du
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