Die Rose von Byzanz
auf einer Polsterbank in ihrem kleinen Audienzzimmer gesessen und reglos seine Worte über sich ergehen lassen. Eine Hand hatte sie unter ihren Oberschenkel geschoben und sie unwillkürlich geballt. Ihr Körper neigte sich leicht zur Seite.
„Du weißt, dass du schuld bist, nicht wahr, Irene?“
Er trat näher. Sie widerstand dem Impuls, die Augen zu schließen. Doch es war ihr ebenso unmöglich, seinen Blick zu erwidern. Sie drehte den Kopf zur Seite. Andronikos sank vor ihr auf die Knie. „Du weißt, es ist deine Schuld, dass ich ihm dieses Mädchen wegnehmen musste. Deinetwegen musste ich sie auf mein Landgut schicken lassen, zusammen mit einem anderen Mädchen, das überaus entzückend hinkt. Ich werde deinetwegen dorthin reiten und mit ihr das tun, was du mir verwehrst. Aber ihr wird es wehtun.“
Tränen stiegen Irene in die Augen.
„Liebe mich, Irene. Ich kann von all den anderen Frauen lassen, wenn du mir nur wieder gestattest, der Einzige zu sein, dem du dein Herz schenkst. Liebe mich, wie du den Waräger liebst. Liebe mich nicht nur mit deinem Herzen, sondern auch mit deinem Körper.“
Sie antwortete nicht. Ihre Tränen waren ihm Antwort genug. Es war ja nicht das erste Mal, dass er so vor ihr kniete. Seine Hände ergriffen ihre, und sie ließ mit sich geschehen, dass er sie an seine Wangen legte, die so tränennass waren wie ihre. Doch als er versuchte, ihre Handinnenfläche zu küssen, entzog sie sich ihm abrupt, stand auf und versuchte, an ihm vorbeizukommen.
Andronikos packte sie an den Oberarmen, hielt sie fest und zwang sie, ihm in die Augen zu blicken. Sanfte braune Augen, in denen das Feuer der Leidenschaft für sie seit Jahren loderte, ohne dass sie vermochte, es zu stillen. Nein, schlimmer noch: Es war ihre Schuld, dass es entflammt worden war. Einem Traum gleich hatte sie sich ihm hingegeben, immer und immer wieder, wie in einem Rausch. Und als sie erwachte aus Traum und Rausch, gestattete sie ihm nicht mal einen Kuss, gestattete ihm keine Geborgenheit in ihren Armen, verweigerte ihm ihren Körper auf jede erdenkliche Weise und tröstete ihn ebenso wenig, als auf sein Leben ein Attentat verübt wurde, das Eirik nur durch sein beherztes Eingreifen vereitelte.
Statt ihren Bruder glücklich in die Arme zu schließen und Gott zu danken, weil er sein Leben verschonte, verfluchte sie das Schicksal, das ihn überleben ließ. Und sie verfluchte ihr Herz, das sie noch immer verriet. Sie stürzte sich in jene Affäre mit Eirik, in der sie zwar Lust und Leidenschaft fand, doch Vergessen vergeblich suchte. Seit jenem Tag wurde sie ihres Lebens nicht mehr froh, denn Andronikos war von der geschwisterlichen Liebe besessen und begehrte sie mit jener Unnachgiebigkeit, mit der er seine Feinde hasste.
Kein Wunder also, dass Eirik ihm ein Feind war, und schlimmer wog für ihn nur, dass er diesem Feind sein Leben verdankte.
Und jetzt dies: Er versuchte, sie davon zu überzeugen, dass sie die Frau war, die alle zu erretten vermochte. Ihn, der vor Liebe krank war. Die Frauen, die er nicht länger quälen wollte, wenn sie ihn erhörte. Und sich selbst, weil sie in Wahrheit nur Andronikos liebte, ohne es sich eingestehen zu können.
Inzwischen war er dazu übergegangen, ihr die Schuld daran zu geben, dass er andere Frauen quälte. Und jetzt war sie auch im doppelten Sinne schuldig, dass er die Sklavin gekauft hatte. Sie hatte Eirik das Geld gegeben und hatte ihn wenige Stunden später an ihren Bruder verraten. Binnen weniger Wochen würde Eirik das Mädchen nicht wiedererkennen. Auch das würde Andronikos zu seinen Gunsten nutzen. Er liebte es, mit den Menschen zu spielen.
Und ich bin sein liebstes Spielzeug.
Sie schloss die Augen, doch die Bilder waren ihr in den Kopf gebrannt und ließen sich weder im Schlaf noch mit geschlossenen Augen vertreiben. Sie hatte alles versucht. Sogar der Trunk aus Schlafmohn, den ihre Dienerin ihr am Abend brachte, hatte ihr außer noch wilderen Träumen und einem unerträglichen Kopfschmerz am Morgen nichts eingebracht.
Sein liebstes Spielzeug, das von ihm besessen ist.
Darum versuchte Irene immer wieder, ihm nicht nachzugeben. Sich weiterhin so unnahbar zu geben. Sie hatte Angst. Was geschah, wenn sie sich eingestand, dass ihre Gefühle zum Bruder nicht allein geschwisterlicher Natur waren? Sie fürchtete nicht die Sünde, die sie dann wieder begehen könnte, sondern vor allem Andronikos’ Grausamkeit. Sie fürchtete, er trieb mit ihren Gefühlen ein hässliches
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