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Die Rose von Darjeeling - Roman

Die Rose von Darjeeling - Roman

Titel: Die Rose von Darjeeling - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Lott
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ihnen mit einer Arzttasche. Wo das Palaver und Gelärme am lautesten war, drängten sich Menschen im Schatten eines Mangobaumes um eine gerissene Ziege und einen schreienden, vielleicht achtjährigen, abgemagerten Jungen, der in den Armen eines Mannes lag. Er blutete an der Schulter und am Bein, deutlich waren Kratzspuren großer Krallen zu erkennen. Doch die Verletzungen schienen nicht lebensgefährlich zu sein.
    »Ist der Leopard tot?«
    »Entwischt«, knurrte ein Dorfbewohner grimmig.
    Carl und Gustav legten das Kind vorsichtig auf die Trage, und sie liefen zur Krankenstation zurück. Kathryn sprach dem wimmernden Kleinen auf Nepali gut zu. Sie verstand, was er sagte und übersetzte, dass er wegen eines Malariaschubs zu Hause geblieben sei und nach der Ziege gesehen hatte, als sie vor Todesangst schrie.
    Kathryn verarztete den Jungen, so gut sie es konnte. Sie bat Carl und Gustav, ihr frisches Wasser vom Brunnen zu holen und es abzukochen. Die Familie des Kindes hatte sich vor der Krankenstation eingefunden. Kathryn ging hinaus und beruhigte die aufgeregten Eltern mit ein paar Brocken Nepali.
    »Sie müssen die Wunden sauber halten, dann verheilen sie bald.«
    Die Mutter war völlig aufgelöst. Kathryn fürchtete, dass sie ihre Anweisungen nicht richtig verstand. Sie wandte sich an die ältere Tochter, die sie als aufgewecktes Mädchen kannte.
    »Heißt du nicht Aashmi?«
    Das Mädchen nickte schüchtern. Sie hatte ein hübsches ovales Gesicht mit Augenbrauen wie eine chinesische Prinzessin, weiße Zähne und glatte Haut. Normalerweise lächelte sie stets freundlich. Jetzt schaute sie besorgt, aber sie beobachtete auch aufmerksam, was geschah. Kathryn wiederholte ihre Ratschläge.
    »Hier sind noch Schmerztabletten und Chinin gegen die Malariaanfälle. Und wenn irgendetwas ist, Aashmi, falls es Komplikationen geben sollte oder sonst etwas, dann zögere nicht, und komm zu mir, ja?«
    »Ja, Memsahib. Danke, Memsahib.«
    »Gut. Komm mit rein. Ich zeig dir, wie man kalte Wickel gegen das Fieber macht.«
    Kathryn bat Aashmi bewusst in die Krankenstation, denn die Familienangehörigen waren Hindus. Und das bedeutete, dass sie als Christin deren Hütte nicht betreten und das Wasser nicht berühren durfte, beides wäre dadurch unrein geworden.
    »Respekt, Miss Whitewater!«, sagte Carl, als die Familie mit dem kleinen Jungen gegangen war.
    Kathryn lächelte. Mit Erleichterung registrierte sie, dass sich ihre Verwirrung dem Deutschen gegenüber verflüchtigt hatte. »Danke.«
    Es roch noch nach Schweiß, Blut und Kampfer. Zügig räumte sie auf, desinfizierte Liege und medizinisches Zubehör.
    »Woher können Sie das hier?«
    »Ich war bei den Pfadfindern. Hab mich immer freiwillig für die Erste Hilfe gemeldet. Und ich assistiere dem Arzt, der hier alle vier Wochen vorbeikommt.«
    »Fabelhaft!« Auch Gustav war sichtlich beeindruckt. »Wir sind übrigens ebenfalls alte Wandervögel! Ist zwar schon schon etwas her, aber …«
    »Ach, wirklich?«
    Sie begüßten sich wie Pfadfinder überall auf der Welt, reichten sich die linke, »von Herzen kommende« Hand und hoben die rechte bis auf Schulterhöhe, wobei der Daumen den kleinen Finger festhielt – als Zeichen dafür, dass der Starke den Kleinen beschützte. Fast gleichzeitig sagte jeder einen anderen Gruß.
    »Allzeit bereit«, »Be preprared«, »Gut Pfad«.
    Sie lachten. Wunderbar! Das Steife und Förmliche fiel von ihnen ab. Sie teilten eine wichtige Lebenserfahrung miteinander. Damit bestand zwischen ihnen eine unausgesprochene Übereinkunft. Sie zählten sich alle drei zur jungen Nachkriegsgeneration, die viel auf Kameradschaft hielt. Die Internationale Jugendbewegung hatte sie geprägt. Ohne sie hätten Carl und Gustav nie den Mut aufgebracht, sich so hohe Ziele zu stecken und das Ziel ihrer Kinderzeit auch als Erwachsene konsequent zu verfolgen.
    Diese Generation pflegte ein Bild von sich – sie war anspruchslos, was das Materielle betraf, aber idealistisch und gläubig, was die Zukunft, die Natur, ihre eigene Gestaltungskraft und die Freiheit der Gedanken anging. Sie wollte nicht die Fehler der Alten wiederholen und traute sich in moralischen Fragen ein eigenes Urteil zu. Sie begeisterte sich für Wanderungen, Natur, für das Elementare, wandte sich gegen alles Spießbürgerliche.
    »Herzlich willkommen!« Kathryns Gesicht leuchtete vor Freude. Auf Deutsch fügte sie hinzu: »Dann können wir uns ja auch duzen.«
    »Die Bestie ist schlau. Hat schon mal eine Ziege

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