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Die Rose von Darjeeling - Roman

Die Rose von Darjeeling - Roman

Titel: Die Rose von Darjeeling - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Lott
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egal. Die Sträucher würden sowieso zerhäckselt werden. Dabei zeigten sich schon Knospen und erste Blüten daran. Gesine wischte sich mit dem Ärmel die Wuttränen von den Augen. Ach, es nützte ja nichts, sich aufzulehnen gegen die Verhältnisse! Sie musste diese schlimme Zeit überstehen, irgendwann würde es schon wieder alles besser werden. Bestimmt. Hoffentlich. Wenn Carl doch nur endlich zurückkehrte … Der Krieg war nun schon fast ein Jahr vorüber, aber die Familie hatte immer noch nichts von ihm gehört. Ob er noch lebte? Und wenn ja, wie mochte es ihm ergehen?
    Gesine richtete sich auf, massierte ihr schmerzendes Kreuz und wollte gerade ins Haus gehen, als ein ostfriesisch gerolltes R ihre Aufmerksamkeit erregte.
    »Brrr …«
    Ein einfaches Pferdefuhrwerk, das von einem braunen Ackergaul gezogen wurde, hielt direkt vor dem Eingang der Baumschule. Der Kutscher trug Hut, einen teuren Mantel und brauchte ziemlich lange, um herunterzuklettern, obwohl er noch gar nicht so alt schien. Als er endlich stand und sich eine Gehhilfe vom Wagen angelte, erkannte Gesine den Mann.
    »Mensch, Gustav! Gustav ter Fehn! Du lebst noch!«
    Er humpelte auf sie zu. »Gesine, wie schön, dass du auch noch am Leben bist.« Sie umarmten sich.
    »Und die Familie?«, fragte sie.
    »Alles bestens.«
    Bevor er die Gegenfrage stellen konnte, schaute Gesine fragend auf sein steifes Bein. Normalerweise pflegte Gustav abzuwinken, er kommentierte die Amputation nicht. Sollten die Leute doch glauben, er sei als Soldat verwundet worden, aber Gesine wollte er nichts vormachen.
    »Bomben auf Bremen, September 42«, sagte er knapp.
    Beinahe jede Nacht erlebte Gustav diese Minuten aufs Neue. Er hatte im Hafen zu tun. Erst warf die britische Royal Air Force Sprengbomben, dann Brandbomben. Gustav hörte, wie sie im Fallen jaulten. In panischer Angst rannte er so schnell er konnte – und wurde von einer Druckwelle durch die Luft geschleudert. Balken krachten. Ungläubig sah er vier Meter von sich entfernt in seinem schwarzen polierten Budapester-Schuh seinen rechten Fuß bis zum Knöchel liegen. Er traute sich nicht, auf sein Bein zu sehen. Das konnte doch nicht sein! Er hatte keinen Schmerz gespürt. Auf einmal drangen Schreie anderer Verletzter in sein Bewusstsein. Gustav spürte unter sich eine heiße klebrige Flüssigkeit, zwang sich mit aller Gewalt hinzuschauen. Er sah sein Blut strömen. Ich laufe aus, ich verblute, dachte er heftig zitternd. Das war’s. Und kein bisschen heldenhaft.
    Ein Fremder kam und band ihm mit einem Gürtel das Bein ab. Gustav verlor das Bewusstsein. Als er wieder erwachte, hatten Notärzte sein Bein oberhalb des Knies amputiert.
    »O Gott!« Gesine seufzte tief. »Aber dass du lebst! Das ist das Wichtigste. Komm rein …« Sie wischte ihre erdverschmierten Hände an ihrer Arbeitshose ab, nestelte verlegen an dem Tuch herum, das sie über der Stirn verknotet trug. »Leider kann ich dir keinen Tee anbieten.«
    Sie führte ihn in die große Küche, in der zwei Frauen hantierten. Eine kochte, die andere wusch etwas. Beide nickten nur kurz zum Gruß. Es roch nach Kohleintopf. Zwei Flüchtlingsfamilien waren bei den Jonas einquartiert, außerdem hatten entfernte Verwandte, die in Oldenburg ausgebombt worden waren, im großen Haus Zuflucht gefunden. Alle gaben sich redlich Mühe, höflich und sauber zu bleiben. Dennoch führte die ungewohnte Enge häufig zu Gereiztheiten. Jeder schloss seine Lebensmittel weg.
    Gustav zog ein Päckchen Tee aus seiner Manteltasche, als Gesine sich am Waschbecken in der Küche die Hände wusch. »Ich hab welchen mitgebracht«, flüsterte er.
    Er betrieb seit Kriegsende einen lukrativen Schwarzhandel mit geschmuggeltem Tee. Hendrikes Bruder Tammo half ihm dabei. Hendrike hatte die beiden zusammengebracht. Seine Geliebte kümmerte sich zwar inzwischen wieder um ihren heimgekehrten Ehemann, aber sie hatten sich in Freundschaft getrennt. Tammo lebte als Krabbenfischer im Rheiderland, jenem dünn besiedelten, vom Rest der Nation vergessenen Zipfel Deutschlands zwischen Emsmündung und Dollart an der Grenze zu Holland. Schmuggel gehörte hier seit Jahrhunderten zum normalen Leben.
    Gustav fand Wege, wie der Tee von Colonel Frank Robbins aus Sikkim unter Umgehung der Zollbehörden in die Nähe der deutschen Grenze gelangte, Hendrikes Bruder schaffte die heiße Ware nachts mit seinem Fischkutter über die Grenze, manchmal auf eine der ostfriesischen Inseln, manchmal in einen kleinen Sielhafen an

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