Die Rose von Darjeeling - Roman
zerdrückte.
»Was für einen Rhododendron möchtest du denn finden?«, fragte Kathryn Carl, während sie sich mit einem Fuß abstieß und leicht hin und her schaukelte.
»Ich will besonders winterharte und blühfreudige Sorten züchten. Am besten in Rot. Und kleinwüchsig sollten sie sein«, erklärte er. »Die Leute haben heute kleine Häuser und kleine Gärten. Die ausladenden Rhodosorten, die sich im letzten Jahrhundert der britische Landadel in seine Parks gepflanzt hat, kann sich heute niemand mehr leisten.«
»Wie schade«, bedauerte Kathryn. »Das klingt ja ganz unromantisch.«
»Nein«, widersprach Carl. »Auch kleine Büsche können zauberhaft sein und viele Menschen erfreuen. Denk doch mal an japanische Gärten.«
»Ach, der Herr denkt doch nur ans Geschäft«, zog ihn Gustav auf, eine kleine Revanche unter Freunden für Carls mangelndes Teeverständnis. »Die breite Masse soll bedient werden. Ich weiß gar nicht, was überhaupt so großartig an Rhododendren sein soll. Sie blühen gerade mal drei bis vier Wochen. Wenn du Pech hast, verregnen sie noch früher. Und den Rest des Jahres steht da ein düsteres Gestrüpp mit dunkelgrünen Blättern herum.« Carl setzte eine indignierte Miene auf und tat, als hätte er die unterschwellige Kritik seines Freundes nicht gehört.
»Ich mag die großen am liebsten«, schwärmte Kathryn. »Am schönsten fände ich eine rein rotorangefarbene Blüte. Ach, und duften muss sie. Auf jeden Fall! Und der Strauch muss schon ein bisschen was hermachen.« Im Scherz sagte sie: »Kannst du mir nicht so was züchten?«
Carl grinste. »Klar, ist ’ne Kleinigkeit.«
Aus der Ferne hörten sie das Lachen spielender Kinder und eine Mutter, die zum Abendessen rief. Auf der Spitze des Pavillons saß ein kleiner blauer Vogel und flötete sein Abendlied.
»Aber dafür müssen wir erst mal nach Sikkim«, sagte Gustav nun ganz ernst. »Die Zeit läuft uns davon.«
»Ja, einige Wildarten, die in den niederen Lagen mit feuchtwarmem Klima wachsen, werden jetzt schon verblüht sein.« Carl sprang auf, unruhig wanderte er auf dem Rasen hin und her. »Je höher die Lage, in der die Rhodos von Natur aus gedeihen, desto frosthärter sind sie, und desto später blühen sie«, erklärte er. »Ende April bis Ende Mai ist ideal, wir müssen wirklich bald los. Die Arten am Zemu-Gletscher stehen zum Glück Anfang Juni in Blüte. Ich bin auch sehr gespannt auf das Yumthang-Tal. Man darf den richtigen Zeitpunkt nicht verstreichen lassen.«
Es ist wie beim Teeernten und -verarbeiten, dachte Kathryn, wie mit allem im ganzen Leben. Wenn man doch nur immer so genau wüsste, wann der richtige Zeitpunkt ist …
Der Wind trug von der Manufaktur mit dem Dauergebrumm der Trockungsanlage einen betörenden Duft herüber, wie von edelstem Heu, gemischt mit dem Aroma lieblicher Reben.
Kathryn schnupperte entzückt. »Das sind die ätherischen Öle aus den Teeblättern, die werden beim Fermentieren frei. Hmm … ist dieser Duft nicht einmalig?«
Gustav atmete tief ein. »Weltklasse, direkt berauschend!«
An diesem Abend konnte Kathryn lange nicht einschlafen. Sie schwitzte, rollte sich unruhig hin und her. Eine tiefe Sehnsucht machte sich geradezu schmerzhaft in ihr breit, ohne dass sie wusste, was genau sie so leidenschaftlich erwartete. Irgendetwas, das mit Liebe zu tun hatte natürlich, aber es ging über ihre romantischen Jungmädchenträume hinaus. Sie wollte etwas anfangen mit ihrem Leben, wollte nicht nur dasitzen und auf ihr Glück warten, wollte etwas erleben.
Schließlich stand sie auf, um sich etwas zu trinken zu holen. In Gedanken versunken stand sie in der Küche am Fenster und schaute auf die Veranda hinaus. Plötzlich war ihr, als schleiche eine schmale Gestalt die Treppe in den Garten hinunter, wo sie im Dunkeln verschwand. Wie seltsam! Oder hatte sie sich getäuscht? War es nur ein Mondschatten der vom Wind bewegten Rhododendronbüsche gewesen? Oder einer der Angestellten, der nach dem Rechten sah? Kathryn öffnete das Fenster. Sie horchte, aber vernahm keine ungewöhnlichen Geräusche außer dem gleichmäßigen Schnarchen ihres Vaters. Sie lächelte.
Seit gut einem halben Jahr war sie wieder zu Hause in Geestra Valley, nachdem sie fünf Jahre lang durch drei verschiedene Internate in England und der Schweiz gereicht worden war. Wegen Aufmüpfigkeit und Verstockheit war sie zweimal von der Schule verwiesen worden. Sie hatte sich so allein gelassen und abgeschoben gefühlt. Sie wollte
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