Die Rose von Darjeeling - Roman
sie spontan.
Mr Singh stutzte. Die Pose, in der das Kleid präsentiert wurde, konnte man lasziv bis verrucht nennen. Miss Whitewater war ohne Zweifel ein außergewöhnlich hübsches, apartes, mädchenhaftes Wesen. Aber es erforderte doch wohl sehr viel Selbstbewusssein und Weiblichkeit, ein solches Kleid tragen zu können.
Kathryn bemerkte das kleine Zögern des Schneiders. Sie wollte sich auch nicht lächerlich machen, deshalb fügte sie rasch hinzu: »Natürlich nicht für mich. Nur so ganz allgemein … Es ist einfach traumhaft!« Heftig schüttelte sie dann den Kopf. »Nein, nein, Mr Singh, es ist in Ordnung, wie es ist, lassen Sie den Ausschnitt dezent. Vorne wie hinten.«
Bedauernd nickte der Mann. »Wie Sie wünschen, Memsahib. Wir liefern Ihnen das Kleid dann rechtzeitig zum Wochenende in den Klub.«
Auf dem Weg zum Treffpunkt mit Carl und Gustav schaute Kathryn noch bei der Post herein. Dort wartete ein postlagernder Brief ihrer Freundin Selma auf sie. Ein Stempel verriet, dass er aus Tel Aviv in Palästina kam. Noch im Postamt riss Kathryn den Brief auf. Mit Selma und ihrer Familie hatte sie ihre Berliner Zeit verbracht, die bisher schönsten Monate ihres Lebens. Selma schrieb, dass sie in Tel Aviv in der ersten Schule für Tanz und rhythmische Gymnastik eine Anstellung als Lehrerin erhalten habe. Ihre Eltern lebten in einem Kibbuz am See Genezareth und hatten die Auswanderung noch nicht einen Tag bereut. Auch Selma war glücklich. Es herrsche eine unglaubliche Aufbruchstimmung im Gelobten Land, schrieb sie. Junge Künstler hätten große Chancen in der Welt der Architektur und des Theaters. Selma war sicher, dass sie in Tel Aviv viel für den modernen Ausdruckstanz erreichen konnte.
Kathryn las den Brief gleich noch einmal, dann faltete sie das Papier wieder zusammen. Erleichtert atmete sie auf. Wie oft hatte sie an die reizende Familie, ihre Gasteltern, Selma und ihre jüngere Schwester gedacht. Es war schade, dass sie nun keine Anlaufstelle mehr in Berlin hatte. Aber schön, dass es allen gut ging und ihr Mut und ihre Hoffnungen nicht enttäuscht worden waren.
Ja, dachte Kathryn, man muss etwas wagen im Leben.
Samantha empfing die drei jungen Leute auf der Veranda mit einem triumphierenden Blick. »Es ist alles in Ordnung. Der Polizeipräsident hat einen Termin für euch freigemacht. Ihr werdet in einer Stunde erwartet.«
Kathryn umarmte sie. »Du bist ein Goldstück!«
Auch Gustav und Carl bedankten sich bei ihr.
Samantha winkte ab. »Hab ich doch gern gemacht.« Dann wandte sie sich an ihre Freundin. »Du, kann ich dich noch mal kurz sprechen?« Sie hakte Kathryn unter und ging mit ihr in den Garten hinters Haus.
»Ich hab eine riesengroße Bitte, meine Süße. Du weißt doch, dass Tsarong und ich uns jede gemeinsame Stunde stehlen müssen, ich stehe unter ständiger Beobachtung und er auch. Wir können uns nur draußen in der Natur treffen …« Ein vieldeutiges, verliebtes Lächeln huschte über Sams Gesicht. »Na ja, also, wir würden einfach liebend gern einmal ein paar Tage ungestört zusammen verbringen.«
Kathryn fand das sehr romantisch und aufregend. »Natürlich, ist ja verständlich.« Dann flüsterte sie: »Ihr passt hoffentlich auf?«
»Aber klar«, erwiderte ihre Freundin energisch. »Ja … und deshalb haben wir uns vorhin überlegt, dass wir versuchen sollten, die Gelegenheit beim Schopfe zu packen. Es wäre großartig, wenn wir mit über die Grenze nach Sikkim könnten. Da drüben kennt uns niemand. Wenn die beiden Deutschen jetzt ohnehin die Einreisegenehmigungen beantragen, dann könnten sie doch offiziell noch zwei Leute mehr im Expeditionstross mitnehmen.«
Kathryn stutzte. »Ist es nicht verdächtig, wenn eine Frau mitkommt?«, fragte sie dann.
»Man könnte sagen, dass sie nur das Geleit der Gruppe bis zur Hauptstadt Gangtok in Anspruch nimmt, um dort Verwandte zu besuchen.«
»Bei den wenigen Engländern, die in Gangtok leben, kennt der Polizeipräsident sicherlich jeden persönlich«, wandte Kathryn ein. »Dann weiß er doch, dass du dort keine Familie hast.«
»Ja, schon …« Verlegen gestand Sam: »Na ja, der Plan ist noch nicht so richtig ausgereift, dafür war die Zeit einfach zu kurz. Tsarong kennt da wohl hinter der Grenze eine einsam gelegene Jagdhütte …« Sie setzte sich in einen Schaukelstuhl, dessen Teakholz vom Alter schon silbergrau war. »Man bräuchte nur diese dumme Einreisegenehmigung, weil die Grenzkontrolle so scharf ist.«
»Ja«,
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