Die Rose von Darjeeling - Roman
Wildarten und suchten aus den Nachkommen die schönsten aus, was man Selektion nannte. Aber schon bald versuchten Baumschulen auch erste Kreuzungen. Sie brachten neue Sorten hervor, die in den Zwanziger- und Dreißigerjahren des 19. Jahrhunderts in den Handel kamen.«
»Und wie viele Sorten gibt’s heute?«
»Weltweit rund dreißigtausend, dazu sind rund tausend Wildarten bekannt.«
»Was?« Max begrub seine Hoffnung, die Rose von Darjeeling zufällig entdecken zu können.
»Warum kam der Rhododendron eigentlich erst vor zweihundert Jahren in Mode?«
»Ich glaube, er passte um 1800 einfach ideal zum Zeitgeschmack. Außerdem gelangten damals aus den Kolonien ständig für Europäer neue Wildarten in die Gärtnereien. Sie ermöglichten ja erst die tollen Züchtungen in den folgenden Jahrzehnten.«
Julia überlegte, ob sie noch auf die Botanischen Gärten zu sprechen kommen sollte. Bis 1900 entstanden rund zweihundert Botanische Gärten in Übersee, meist in tropischen Regionen. Sie waren auch Laboratorien, in denen die Kolonialmächte neue Geschäftsmöglichkeiten mit »grünem Gold« antesteten, wie etwa Tee, Palmen, Kaffee oder Gummibäume. Manche Gewächse wurden dort kultiviert, sollten erst einmal auf das kalte Klima in Europa vorbereitet werden – was aber nicht immer gelang.
Und die Botanischen Gärten in der Heimat … Abgesehen davon, dass sie eine Freude, Kulturgut, Bildungsstätte, Studienort, Zoo für Pflanzen waren, dienten sie den Regierungen auch als exotische Geschenke und Leistungsnachweis für die eigene Bevölkerung: Schaut, wie mächtig wir sind, was wir alles erobert haben! Abenteuerlust, Forscherdrang und Nationalstolz lagen eng beisammen. In der Zeit der bedeutendsten Rhododendronentdeckungen, im 19. Jahrhundert, war Großbritannien die Weltmacht gewesen. Kein Wunder also, dass man dort heute noch die bedeutendsten Sammlungen von Rhododendronarten und Neuzüchtungen finden konnte.
Ach was, dachte Julia, das weiß Max sicher alles schon, vielleicht sogar besser als ich.
Sie stand auf und sagte begeistert: »Siehst du es? Wir befinden uns in einem begehbaren Gemälde!«
Max erhob sich ebenfalls, er schaute sich um. Die Rhododendrongruppen im Park machten sich überaus malerisch. Auch einzelne Prachtexemplare lenkten den Blick so, dass die Anlage besonders weit, großzügig und romantisch wirkte. Dieses Spiel mit den Sichtachsen war ein wichtiger Teil der Gartenkunst. Nicht nur der Park selbst, sondern auch seine Umgebung wurde einbezogen. Harmonisch verbanden sich Schönes wie die Teiche mit Nützlichem wie Kuhweiden. Sogar der Kirchturm des Ortes schien mit Bedacht ins Gesamtkunstwerk eingebettet.
Max verstand, worauf Julia hinauswollte. »Nichts ist zufällig. Es soll nur so aussehen, als ob …« Und die Kulturlandschaft des Ammerlandes kam dem Ideal des englischen Landschaftsparks ohnehin schon recht nahe.
»Komm!«
Sie schaute ihn über die Schulter an, und Max wünschte, er könnte malen, um diesen Ausdruck festzuhalten. Unternehmungslustig sah sie aus, verlockend, so süß. Die vollen Lippen lächelten unschuldig verführerisch. Ihre Wangen waren rosig von der frischen Luft. Und wieder ging er unter in ihrem Blick: Von einem dunkleren Blau umkreist blitzten auf dem Grunde der Iris Reflexe, silbrig und türkis – wie sie die Sonne manchmal durch kristallklares Wasser auf hellen Sand zauberte.
»Na, komm schon!« Julia entging nicht, dass ihr Gast sie anstarrte, aber sie war ja zum Glück derzeit immun gegen amouröse Abenteuer. »Dahinten kann man immer noch alte Rhodos sehen, die Bosse gepflanzt hat.«
Sie kamen an eine fast sieben Meter hohe Hecke, die den Privatgarten des Schlosses vom öffentlichen Teil des Schlossparks trennte. Erste weiße Blüten brachen auf.
»Leider ohne Schnitt, könnte gepflegter sein«, bedauerte Julia.
»Trotzdem romantisch. Fast so undurchdringlich wie die Rosenhecke um das Dornröschenschloss.«
Max’ Stimme hat sich verändert, dachte Julia. Bitte, jetzt keine Komplikationen! Er machte langsam einen Schritt durch die grünen Schatten auf sie zu. Sie spürte wieder ein Kribbeln. Julia wandte sich um und lief rasch weiter.
Abends lud Max sie zum Dank für ihre Führung zum Smoortaalessen in den Bad Zwischenahner Spieker ein. Durch eine niedrige runde Holztür betraten sie das zweistöckige kleine Fachwerkgebäude. Gleich umfing sie der Geruch von mildwürzigem Rauch, an der Wand brannte ein großes offenes Feuer und tauchte den von
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