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Die Rose von Darjeeling - Roman

Die Rose von Darjeeling - Roman

Titel: Die Rose von Darjeeling - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Lott
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besser, wenn wir uns bis dahin wach halten.«
    Vor allem mussten sie weiter Ruhe bewahren. Panik würde sie umbringen. Carl wusste, dass ein falscher Schritt da draußen einen neuen Schneerutsch oder sogar eine Lawine lostreten konnte. Der Schnee würde sich in Mund und Atemwege pressen und wie Beton um ihre Körper legen. Er würde großen Druck ausüben, die Durchblutung absterben lassen und ihnen kaum eine Überlebenschance lassen. Doch all das verschwieg er Kathryn lieber.
    Ihr kam unvermittelt eine Idee. »Hast du noch die gelben Markierungsbänder für die Rhododendren?«
    Carl kramte mit ungelenken Bewegungen in seiner Jackentasche. Er verstand gleich, was sie beabsichtigte. »Yep! Kluges Mädchen!«
    Er nahm die Zeltstange, verknotete ein gelbes Band an der Spitze, spießte es noch sicherheitshalber auf und bohrte die Stange mit dem Erkennungszeichen erneut behutsam durch die Decke. Carl hoffte inständig, dass es nicht von Neuschnee oder Verwehungen verdeckt würde.
    Kathryn schmiegte sich wieder in seine Arme. »Wer ist eigentlich dieser Hooker?«, fragte sie, um einen furchtlosen Ton bemüht. »Dauernd höre ich von ihm, aber ich hab wohl gerade Kreide geholt, als er im Unterricht dran war.«
    Sie hörte das Lächeln in Carls Stimme, als er anhob, ihr Hookers Geschichte zu schildern.
    »Es war einmal ein kleiner Junge namens Joseph«, begann er, als ob er ein Märchen erzählen wollte, »der lebte im schottischen Glasgow und interessierte sich für nichts so sehr wie für die Pflanzenwelt. Da fügte es sich gut, dass sein Vater Botanikprofessor war. Joseph begleitete ihn schon im Alter von sechs Jahren so oft es ging zu den Vorlesungen und lauschte aufmerksam. Kein Wunder also, dass er als junger Mann bereits ein Experte war und darauf brannte, in fernen Ländern neue Pflanzen zu entdecken. Glücklicherweise hatte sein Vater gute Kontakte, unter anderem zu Sir Joseph Banks, jenem berühmten Botaniker, der Captain Cook auf seinen Weltumseglungen begleitet hatte und nun Vorsitzender der Botanischen Gesellschaft war. Er sorgte dafür, dass der Vater, also der Professor, die Leitung der Königlichen Botanischen Gärten in Kew bei London übertragen bekam.«
    »Wirklich? Ich war mal mit der Klasse dort.« Dieser Ausflug gehörte zu den wenigen positiven Erinnerungen ihrer Internatszeit in England. Gleich nach dem Tod ihrer Mutter dorthin abgeschoben, unglücklich, nicht zu den Scherzen ihrer Mitschülerinnen aufgelegt, zur Außenseiterin abgestempelt, hatte für Kathryn damals eine Ära der Demütigungen begonnen, an die sie nicht gern zurückdachte. »Der bedeutendste botanische Garten der Welt, sagt man … Wirklich fabelhaft … Und erst die prächtigen alten Tropenhäuser!«
    »Ja. Und Sir Banks sorgte auch dafür, dass der junge Joseph Dalton Hooker an einer Forschungsreise mit dem Schiff in die Südpolregion, nach Neuseeland und Tasmanien teilnehmen durfte. Die war, nebenbei bemerkt sehr schlecht bezahlt. 1847 konnte er endlich eine Expedition nach Nordindien und in das Königreich Sikkim anführen.«
    »Wie lange war er unterwegs?«
    »Mindestens vier Jahre. Dabei wäre er beinahe schon in Ägypten hängen geblieben.«
    »Wie das?«
    »Der junge Mann war während ihrer Zwischenstation am Nil so vertieft in das Studium der Landesflora, dass er sein Schiff verpasste.«
    »O je.« Kathryn hatte völlig vergessen, in welcher Notlage sie selbst sich gerade befanden. »Ich wette, die Pflanze war eine hübsche Ägypterin! Wie hat er sich gerettet?«
    »Er organisierte sich ein Kamel.«
    »Nein!«
    »Doch! Und ritt damit quer durch die Wüste. Offenbar konnte er sich darauf immerhin so gut festhalten, dass er im nächsten Hafen rechtzeitig genug ankam, um doch noch auf sein damals hochmodernes Dampfschiff zu kommen.«
    Kathryn lachte. »Aber in Darjeeling saß er dann eine ganze Weile fest, nicht wahr?«
    »Ja. Der König von Sikkim befürchtete, wohl nicht ganz zu Unrecht, neben der Pflanzenforschung könnte auch Spionage betrieben werden – die Landkarten, die bei solchen Expeditionen erstellt wurden, dienten später auch dem britischen Militär. Und das missfiel dem mächtigen Nachbarn Tibet.«
    »Ich verstehe, deshalb auch jetzt noch dieses Theater vor eurer Einreise …«
    »Genau. Allerdings wartete mit Hooker damals ein Tross von über fünfzig Trägern, Pflanzensammlern, Köchen, Wächtern und Ornithologen auf das Startzeichen. Und jeder Tag kostete viel Geld. Schließlich wurde es Dr. Archibald

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