Die Rose von Darjeeling - Roman
Schneebrocken verschlossen. So kam nicht zu viel kalte Luft hinein.
»Hast du denn gar keine Angst? Nie und vor nichts?«
»Hältst du mich für einen Dummkopf? Natürlich gibt es Dinge, die ich fürchte.«
»Was fürchtest du am meisten?«
Er dachte eine Weile nach. »Den Krieg … eine erneute Inflation, dass einem ein Zeppelin auf den Kopf fällt oder geliebte Menschen verunglücken …«
»Und deine Hauptangst?«
Sie spürte die Wärme seiner Hand durch die dicke Kleidung auf ihrer Schulter. Nachdenklich meinte er: »Tja, wahrscheinlich das Wohl unserer Baumschule … Unsere Familie ist seit vierhundert Jahren auf dem gleichen Flecken im Ammerland nachgewiesen, wir besitzen einiges an Land und Anwesen. Uralten Mischwald, Weiden, das Baumschulgelände, Häuser.«
Kathryn nickte in die Dunkelheit.
»Die Inflation hat uns ein Vermögen gekostet. Danach gab’s zwar wieder ein paar fette Jahre für Baumschulen wie uns, aber am Schwarzen Freitag im letzten Oktober haben auch wir sehr viel Geld verloren … Eigentlich hätten wir uns diese Expedition nicht leisten können. Ich habe mich trotzdem stark gemacht dafür, ich setze alles auf die Spezialisierung auf Rhododendron …«
Sie ließ ihre Fingerspitzen zärtlich über seinen Bart gleiten. »Das klingt auch alles sehr einleuchtend, was du mit deinen Züchtungen vorhast.«
»Das ist es auch. Aber sollte ich mich verkalkulieren oder großes Pech haben, zerstöre ich eine vierhundertjährige Tradition.«
Kathryn konnte diese Sorge gut nachvollziehen. Genauso hing sie doch am Teegarten ihrer Familie, und Geestra Valley bestand noch nicht einmal einhundert Jahre lang.
Ungewohnt ernst sagte Carl: »Wir sind ja doch für mehr als nur für uns selbst verantwortlich. Eine Familie wurzelt in der Vergangenheit und reicht über die Gegenwart hinaus. Wir sind das Mittelstück.«
Kathryn nickte wieder. »Geestra Valley ernährt außerdem ein ganzes Dorf.«
»An unserer Baumschule hängen auch viele Arbeitsplätze, und wenn ich die Leitung übernehme, werde ich für meine Eltern sorgen müssen«, sagte er, und dann: »Frierst du?«
»Nein, halt mich nur weiter so …«, flüsterte sie. »Dann bleibt mir ganz warm.«
»Das muss der Iglueffekt sein.«
Er küsste sie wieder. Es war besser als alles, was Kathryn je erlebt hatte.
Als sie wieder denken konnte, sagte sie: »Du warst es nicht.«
»Was war ich nicht?«
»Im Gymkhana Club… Da hat mich jemand im Dunkeln geküsst.«
»Unerhört!« Er übertrieb absichtlich. »Einfach so? Ohne zu fragen?«
Sie lachte leise.
Seine Hand schob sich unter ihren Anorak und unter dicke Schichten von Wolle. Langsam strich er über ihren Rücken.
»Oh!«, seufzte sie entzückt. »Aber das warst du …«
Diese kleinen elektrischen Fünkchen unter ihrer Haut hatte er schon einmal zum Sprühen gebracht – mit der Berührung, die im Gymkhana Club dem Kuss vorangegangen war.
»Ich hoffe, du verzeihst mir«, neckte er sie. »Es war einfach zu verlockend … Aber wenn ich den Kerl erwische, der die Früchte geerntet hat …«
Kathryn lag einfach nur selig ergeben in seinen Armen. Wie absurd, dachte sie, wir befinden uns in Lebensgefahr, hier und jetzt, und ich schwebe! Es tangiert mich nicht. Liebe und Tod, irgendwie schien ihr, als läge beides sehr nah beieinander.
Auf einmal schreckte sie auf. »Was war das?«
Etwas Nasses hatte Kathryn mitten auf der Stirn getroffen – Kondenswasser, das von der Decke tropfte. Carl hob verwirrt den Kopf. Er fühlte sich wie betrunken. Plötzlich fiel ihm ein, dass sie beide mit dem Ausatmen Kohlendioxid in die Luft der Höhle brachten, was langsam und unmerklich zum Ersticken führen konnte. Carl kroch zum Ausgang und nahm die Schneebrocken weg.
»O mein Gott, ist das kalt!« Kathryn begann zu zittern.
»Ich verschließe den Ausgang gleich wieder«, sagte Carl, »aber wir brauchen ein wenig frische Luft.« Er begann, seine Umgebung nach etwas Brauchbarem abzutasten. Schließlich fand er eine Zeltstange, mit der er nach oben hin vorsichtig ein kleines Luftloch bohrte. »Ich glaube, man sieht schon die Morgendämmerung …«, machte er Kathryn Mut.
Die Kälte kroch ihnen zunehmend in die Glieder, wegen der geringen Bewegungsmöglichkeit konnten sie kaum etwas dagegen tun.
»Was glaubst du, wie lange dauert es noch, bis sie uns finden?«
»Sie werden bald anfangen, nach uns zu suchen, sobald es hell genug ist, die Gletscherspalten zu erkennen.«
Carl legte seine Wange an ihre. »Ist
Weitere Kostenlose Bücher