Die Rose von Darjeeling - Roman
meinem Leben!«
Der Schneesturm ließ bei Sonnenaufgang nach. Mit Steigeisen und Sicherheitshaken pickelten sie sich über den Gletscher vorwärts, stapften an einer Sicherheitsleine mit großen Abständen zueinander durch Schneeverwehungen, Gustav und der Sirdar immer voran.
»Hierher!«, rief Robbins auf einmal. Er hatte das gelbe Band entdeckt.
Gustav war als Zweiter zur Stelle. Kathryn und Carl hörten das Einschlagen der Pickel. Sie riefen. Carl hielt den Ärmel vor seine Augen, als ein Schwall Schnee in ihre Höhle fiel. Kathryn blinzelte in das Licht, sah die Gesichter von Robbins und Gustav über sich und weinte vor Erleichterung. Gemeinsam zogen die beiden Männer sie heraus.
Gustav bedeckte Kathryns Gesicht mit vielen kleinen frohen Küssen. Carl drückte er an sich. Dann drehte er ihnen abrupt den Rücken zu und brüllte mit erhobenen Armen hoch zum Gipfel des Kangchendzönga: »Gott sei Dank!«
Robbins und Gustavs Leibdiener rieben ihnen die Gliedmaßen, um den Kreislauf wieder in Schwung zu bringen.
»Ihr habt ein unglaubliches Glück gehabt!«, sagte der Colonel.
Die Sonne hatte so viel Kraft, dass der Schnee im Laufe des Tages dahinschmolz. Carl und Kathryn hatten außer Prellungen und ein paar Frostbeulen keine Verletzungen. Kathryn erzählte Gustav, dass durch die Lawine ihre Erinnerung an den Unfall vor fünf Jahren zurückgekehrt war.
»Jetzt kannst du das Kapitel endlich abschließen«, sagte er froh.
Über das, was sonst noch geschehen war, schwiegen Kathryn und Carl. Kathryn und Carl wollten nicht länger bleiben oder in einem Zelt zur Erholung schlafen. Beide drängte es nach einer kurzen Erholungspause weiter. Allein die Ankündigung heißer Quellen, zwei Tagesetappen entfernt, übte auf alle eine große Anziehungskraft aus. Einmal verirrten sie sich, indem sie einer Wildspur folgten, die sich im Dickicht verlor.
Gustav unterrichtete sie, dass eines der Yaks Bisswunden im Nacken aufwies. »Da hat eine Raubkatze ihre Eckzähne ins Fleisch gehauen. Sieht aus wie eine Schusswunde.«
Colonel Robbins war beunruhigt. »Das Tier könnte wiederkommen oder uns folgen.«
Carl schenkte Kathryn einen aufmunternden Blick. Wird schon nicht so schlimm werden, sagte er. Sie antwortete mit einem bezaubernden Lächeln. Carls Stimme klang wärmer und behutsamer, sobald er sich an Kathryn wandte, selbst wenn er nur eine praktische Anweisung weitergab. Als Carl sich einmal unbeobachtet fühlte und die klare, sonnenwarme Luft im Bewusstsein des wiedergewonnenen Lebens tief einsog, streichelte Kathryn ihn mit ihren Augen. Und manchmal summte sie glücklich vor sich hin, ohne es zu merken.
Gustav registrierte sehr wohl all diese kleinen Zeichen. Mit der Hellsichtigkeit des Verliebten spürte er auch die geheimen Freudenfunken zwischen Kathryn und Carl. Sie brannten sich ihm schmerzhafter in die Haut ein als Glutstückchen.
Was mochte sich zwischen den beiden in der Schneehöhle abgespielt haben? Kathryns Mund erschien Gustav sinnlicher denn je. Er dachte an ihre gemeinsame Nacht auf der Felseninsel. Warum war ich nur so dumm?, dachte er wütend, ich Idiot halte mich an unsere Vereinbarung. Aber Carl macht sich natürlich hemmungslos an sie ran … Gustav marschierte verbissen weiter. Er wurde immer schweigsamer. Freiwillig übernahm er die erste Zeltwache. Er würde ohnehin nicht in den Schlaf finden.
Das einzige Tier, das sich in dieser Nacht in die Nähe ihres Lagers wagte, war jedoch nur ein Wildesel.
Der Sonnenaufgang färbte den Himmel flamingofarben. Der Weg in das atemberaubend schöne Yumthang-Tal, das in voller Blüte stand, verlief sanft und unbeschwerlich. Über Primelteppiche ging es vorbei an Rhododendren, Ahorn und Edeltannen, deren harziger Geruch die Luft köstlich würzte. Mitten durch das Tal floss gemächlich ein breiter Fluss.
Sie lagerten am Rande des ausufernden Flussbetts zwischen gebleichtem Geröll. Carls Herz sang vor Freude: ein Rhododendron schöner, seltener und exotischer als der andere! Manche wuchsen als Baum, andere als Strauch. Er machte sich an die Bestimmungen, ordnete zu, was Hooker schon entdeckt hatte, und deckte seinen Botanikkuli mit Proben ein. Allein wanderte er weiter. Viele der bunten Vögel schienen keine Angst vor Menschen zu kennen. Carl setzte sich auf einen umgestürzten Wacholderstamm, um ihrem Gesang zu lauschen. Er fühlte sich wie im Paradies. Eine Sultansmeise mit gelbem Schopf hüpfte über Steine, die von Flechten mit geheimnisvollen Mustern
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