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Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Titel: Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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vorwärts, als ob es gar viel zu thun und zu schaffen hätt’, und ich will nun auch besser ausschreiten, damit ich bald meine Heimstätte seh’!«
    Er folgte rüstig dem Laufe des Baches, bis dieser sich in einen Teich ergoß, welcher fast die ganze Breite des Thales einnahm und von einem hohen Damme gehalten wurde, der die wanderlustigen Wellen zu einem kurzen Aufenthalte zwang. Er war mit dichtem Gesträuche bewachsen, und wer zu der Obermühle, welche hinter ihm lag, gelangen wollte, der mußte eine steile Böschung überwinden, welche so unzugänglich wie möglich gehalten war. Der eigentliche Weg begann erst von der Mühle thalabwärts, und Klaus, der Obermüller, duldete es nicht gern, daß Unberechtigte den zu seiner Besitzung gehörigen oberen Theil des Thales betraten.
    Er saß eben jetzt vor dem Hause und beaufsichtigte den alten, schwerhörigen Knecht, welcher mit dem Mähen des hohen Grases beschäftigt war. Die Beine waren ihm mit Watte dick umwunden; der Unterleib, welcher vielleicht nur infolge des immerwährenden Sitzens einen bedeutenden Umfang gewonnen hatte, wurde von einer Decke sorgfältig eingehüllt, und sein Gesicht zeigte den Ausdruck stillduldender Resignation, welcher das Ergebniß eines langwierigen und schmerzhaften Leidens zu sein pflegt. Die Gicht lähmte schon seit einer Reihe von Jahren seine Glieder, machte ihm fast jede Bewegung zur Unmöglichkeit und war auch der Grund, daß man ihn kaum anders als nur den »Gichtmüller« nannte. Er schien die unangenehme Lage in den harten Strohpolstern eines alten Räderstuhles übel zu empfinden und rief stöhnend:
    »Hans, leg’ doch die Sense weg und komm’ einmal her. Ich kann es in den Füßen so nicht länger aushalten.«
    Hans mähte ruhig weiter.
    »Hans!« tönte es lauter und voll Ungeduld. »Hörst Du oder hörst Du nicht?« Der krankhafte Ausdruck des leidenden Gesichtes war für einen Augenblick vollständig verschwunden; aus dem scharfen Auge, welches jetzt nichts Mattes mehr zeigte, zuckte ein rasches, zorniges Leuchten, kehrte aber schnell und vorsichtig wieder unter die schlaff sich senkenden Lider zurück. Der Knecht drehte sich langsam um.
    »Habt Ihr gerufen, Müller?« fragte er.
    Der Gefragte nickte und warf den müden Blick seufzend auf seine eingehüllten Extremitäten.
    »Ja, wenn Euch die armen Beine so aus der Lage fallen,« meinte Hans mitleidig, »da müssen sie natürlich wehe thun. Kommt, ich will sie wieder zurecht heben!«
    Er kniete vor dem kranken Herrn nieder und verfuhr mit einer Sorgfalt und Behutsamkeit, als fühle er die Schmerzen desselben in den eigenen Gliedern.
    »So, jetzt wird’s besser sein. Ich bin gleich fertig mit dem Grummet. Nachher laß ich das Rad geh’n und schütte den neuen Weizen auf.«
    Der Müller schüttelte langsam mit dem Kopfe; er mußte selbst unter dieser unbedeutenden Bewegung leiden.
    »Nicht? Giebt’s denn etwas Anderes zu thun?«
    Der Müller nickte und schloß dann die Augen. Es war dies das bekannte Zeichen, daß er zu angegriffen sei, um sprechen zu können. Hans griff schweigend wieder zur Sense, während Klaus regungslos in seiner jetzigen Stellung verharrte.
    Da vernahm er rasche, leichte Schritte, welche sich ihm näherten. Mit sichtbarer Mühe brachte er die zuckenden Wimpern empor, um einen matten, glanzlosen Blick auf den Kommenden zu richten. Kaum aber war sein Auge auf den Letzteren gefallen, so fuhr er vom Stuhle auf, daß dieser um mehrere Schritte davonrollte und die schützende Decke zur Erde fiel.
    »Ferdinand!« rief er fast ebenso bestürzt wie überrascht. »Ich glaub’ gar, Du bist’s wirklich! Was hast Du hier daheim jetzt schon zu schaffen?« Dann aber sich seiner Krankheit erinnernd, stieß er einen lauten Weheruf aus und taumelte wimmernd und von dem Sohne unterstützt in den Stuhl zurück.
    »Freilich bin ich’s wirklich. Grüß Gott, Vater! Ich mocht’ es in der Fremd’ gar nimmer aushalten und kehrt’ darum zurück, um stets nun wieder bei Dir zu sein.«
    »Aber ich hab’ Dir doch befohlen, daß Du fortbleiben sollst, bis ich selbst Dich wieder heim begehr’! Ich brauch’ Dich jetzt noch nicht; Du kannst gleich wieder fort und wirst schon hören, wann ich Dein bedarf.«
    Das Wiedersehen schien ihn ungewöhnlich zu erregen. Die gerade, kräftige Haltung, welche er auf dem Sitze einnahm, mußte ihm sehr wehe thun, denn er kniff die zitternden Lippen zusammen und legte die kahle Stirn in tiefe, schwere Falten.
    »Gleich wieder fort?«

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