Die Rose von Windsor: Historischer Roman (German Edition)
Frage, die er niemandem zu stellen wagte und die nun, wo sein Vater tot war, umso stärker an ihm nagte.
»Nanu, Kind, was tust du denn hier so ganz alleine?«
Er blickte auf und sah Hodierna vor sich stehen. Es hieß, sie sei die Amme des neuen Königs Richard gewesen, obwohl er sich das schwer vorstellen konnte, weil sie graues Haar hatte, Haare auf ihrem Kinn sprossen und ihre Haut so runzlig war wie die Schale eines überlagerten Winterapfels, während alle Ammen, die er gesehen hatte, jung und vollbusig waren. Er kannte Hodierna kaum, aber sie war freundlich und wusste vieles, was die jüngeren Frauen nicht wussten, auch wenn sie besser rochen und hübscher anzusehen waren.
»Ich denke nach«, erwiderte er.
»Über deinen Vater?«
Er nickte und zupfte an einem losen Faden am Knie seiner Hose. Dann schüttelte er den Kopf.
»Über meine Mutter.«
»Aha.« Hodierna verschränkte die Arme.
Er wartete darauf, dass sie wegging. Das taten Frauen immer, wenn sie fürchteten, sich auf dünnes Eis zu begeben. Als sie sich nicht von der Stelle rührte, holte er tief Atem.
»Niemand will mir sagen, wer sie ist.«
»Hast du je mit deinem Vater darüber gesprochen, mein Junge?«
William strich sich das Haar aus der Stirn.
»Er sagte, ihr Name sei Ida und sie sei eine gute Frau, mehr nicht. Jetzt ist er tot, und ich kann ihn nicht noch einmal fragen.«
Hodierna sah sich um, als erhoffe sie sich von irgendeiner Seite Beistand. Er bemerkte, wie sie mit den Füßen scharrte, anscheinend spielte sie mit dem Gedanken, schleunigst die Flucht zu ergreifen.
»Ich muss es wissen«, beharrte er, während er versuchte, sie unter Aufbietung all seiner Willenskraft zum Bleiben zu zwingen.
Sie musterte ihn mit geschürzten Lippen, dann ließ sie sich seufzend neben ihm nieder.
»Deine Mutter ist Lady Ida, die Frau von Roger Bigod, dem Lord von Framlingham. Sie war vor langer Zeit die Mätresse deines Vaters.«
Williams Herz begann zu hämmern. Seine Hände waren glitschig von kaltem Schweiß. Er meinte, Lady Ida gelegentlich am Hof gesehen zu haben, aber er hatte ihr damals keine Beachtung geschenkt, weil er nicht gewusst hatte, wer sie war. Hatte sie ihn auf irgendeine Weise anders angesehen als die anderen Frauen? Oder hatte er ihr nicht mehr bedeutet als ein streunender junger Hund, den man am besten in einer Regentonne ertränkte?
»Als deine Mutter Lord Bigod heiratete, bestimmte dein Vater, dass du bei ihm bleiben solltest. Sie musste sich von dir trennen, sie durfte dich nicht mitnehmen, obwohl es ihr das Herz gebrochen hat.«
Er nickte, fuhr aber fort, auf seine Hose hinunterzustarren, weil er ihren Worten nicht ganz traute. Erwachsene sagten oft Dinge, die sie gar nicht meinten, wenn sie sich aus einer heiklen Situation herauswinden wollten. Es wurmte ihn, dass niemand ihm schon früher etwas gesagt und seine Ängste und Bedenken zerstreut hatte.
»Warum hat mein Vater mir nie von ihr erzählt?«
Hodierna strich ihm sacht über das Haar.
»Ich denke, das hätte er zu gegebener Zeit schon getan, er dachte ja, ihm blieben noch viele Jahre, um dich aufwachsen zu sehen, was ihm bei seinen anderen Kindern nicht vergönnt war. Und da du sein letztgeborener Sohn warst, wollte er dich keinem anderen Haushalt überlassen. Er wusste, dass deine Mutter andere Kinder bekommen und von ihren Pflichten als Ehefrau und Hausherrin in Anspruch genommen werden würde, und er meinte, da er dich gezeugt hat, gehörtest du zu ihm. Er wollte nicht, dass Roger Bigod dich großzog. Ich weiß, es ist schwer für dich, das zu verstehen, aber er meinte, zu deinem Besten zu handeln.«
William presste die Lippen zusammen und rückte ein Stück von ihr und ihrer streichelnden Hand ab. Er war kein Baby mehr, das diese Art von Trost brauchte. Obwohl er wusste, dass er ein Kind war und die Leute ihn wie ein Kind behandelten, kam er sich schon lange so vor, als sei er bereits erwachsen. Sein Vater hatte nicht gelogen, seine Mutter stammte aus guter Familie, aber er war immer noch wütend, weil sie ein neues Leben ohne ihn begonnen hatte, und er verübelte es Roger Bigod, dass er sie ihm weggenommen hatte. Allerdings hätte er ihm ohnehin seinen königlichen Vater vorgezogen. Wenn er an Henry dachte, empfand er dumpfe Benommenheit, die dem Moment zwischen dem Erhalten einer schallenden Ohrfeige und dem Einsetzen des Schmerzes glich.
»Ich verstehe«, murmelte er.
»Das meinst du«, versetzte Hodierna mitfühlend. »Aber du wirst die Dinge
Weitere Kostenlose Bücher