Die Rose von Windsor: Historischer Roman (German Edition)
regelmäßigen Familientreffen, sonst wirst du eine Enttäuschung erleben.«
»Das tue ich nicht«, erwiderte sie tapfer, obwohl sie den Tränen nah war. »Es reicht mir, wenn ich ihn gelegentlich sehe. Ich hoffe, dass er nach Framlingham kommen und seine Brüder und Schwestern besser kennen lernen wird, aber ich würde es verstehen, wenn er sich dagegen entscheidet.«
Roger bezweifelte, dass sie es wirklich verstehen würde, sagte aber nichts. Das würde sich im Lauf der Zeit herausstellen. Er vermutete, dass auch andere Familienmitglieder mit Schwierigkeiten zu kämpfen hatten, vor allem Hugh. Die unterschwellige Spannung zwischen den Halbbrüdern war ihm nicht entgangen, und er wusste nur zu gut, wie schmerzhaft Rivalität zwischen Geschwistern sein und wie lange sie anhalten konnte.
36
Yorkshire,
Februar 1196
Roger ritt in den Hof seines Hauses in Settington. Er hatte den ganzen Tag auf der Richterbank gesessen, und die Fälle schwirrten ihm noch im Kopf herum. Meist war es um Landstreitigkeiten oder Mitgiftfragen gegangen. Er hatte bei seinen Urteilen stets den Umstand berücksichtigen müssen, dass der König Geld brauchte und er auf Richards Vorteil bedacht sein musste, gleichzeitig war er bestrebt gewesen, Gerechtigkeit walten zu lassen. Beides miteinander in Einklang zu bringen hatte sich oft als heikel erwiesen, weshalb er jetzt stechende Kopfschmerzen hatte.
Es regnete schon wieder; ein stetiges Nieseln, das in die Knochen einzusickern und sie zu lähmen schien. Mit einem nassen Februartag wie diesem musste man in diesem Teil der Welt immer rechnen – das Grau der Steinmauern ging in den grauen Himmel über, das windgepeitschte Gras war stumpfgrau oder braun, und in den Senken lag noch halb geschmolzener Schnee.
Hugh, der neben ihm ritt, war blass vor Erschöpfung. Er hatte Roger auf der Reise als Knappe begleitet, um sich mit den Feinheiten der Rechtssprechung vertraut zu machen, die ja eines Tages zu seinen Aufgaben gehören würde, und gerade die Grafschaft Yorkshire lag Roger besonders am Herzen, weil die Familie dort viel Land besaß. Es konnte für seinen Sohn nur von Vorteil sein, wenn er sich mit den Gesetzen auskannte, denn einen mit diesem Wissen ausgestatteten Mann konnte man nur schwer hinters Licht führen. Es hatte ihm Freude gemacht, Hugh zu unterrichten, und er hatte seine Gesellschaft
genossen, aber der heutige Tag war lang und anstrengend gewesen, daher ritten sie jetzt schweigend auf das Haus zu und widmeten all ihre Aufmerksamkeit den Pferden.
Die Männer stiegen im Hof ab und steuerten stöhnend und sich die Kehrseiten reibend auf das von Fackeln erleuchtete warme Herrenhaus zu. Roger erklomm die Außentreppe und betrat die Kammer über der Halle. Seine Frau war nirgends zu sehen, aber im Raum brannten Bienenwachskerzen, und im Kamin prasselte ein helles Feuer. Der würzige Duft von gebratenem Fleisch und Kreuzkümmel ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen, und als er den Hut abnahm und auf eine Truhe legte, bemerkte er, dass der Tisch mit weißem Leinen und grünen Glasbechern gedeckt war. Eine neue Stickerei, eine Szene mit Pilgern und Reisenden, schmückte die Wand hinter dem Tisch. Demnach hatte Ida sie fertiggestellt. Bei seinem letzten Besuch vor vier Tagen hatte noch eine Ecke gefehlt. Seine jüngeren Söhne tobten mit ihren Steckenpferden und Spielzeugschwertern durch die Kammer und spielten Soldat.
»Papa!« Der fünfjährige Ralph stürmte auf ihn zu, packte den Hut und stülpte ihn über seine dunklen Locken, dann lachte er Roger unter der Krempe hervor an, wobei er zwei Milchzahnreihen entblößte.
»Möchtest du morgen meinen Platz einnehmen?«, fragte Roger ihn todernst. »Ich überlasse ihn dir gern.«
Ralph schüttelte den Kopf.
»Ich reite morgen bei einem Turnier mit – ich bin ein Ritter.« Mit dem Hut seines Vaters auf dem Kopf galoppierte er weiter in der Kammer herum.
Roger kicherte leise.
»Ich hoffe nur, er hat die Teilnahmegebühr bezahlt, sonst bekommt er es mit Longespee zu tun.«
Hugh legte seinen Umhang und seine Kappe ab.
»Dazu muss er ihn erst fangen, ohne dabei über sein albernes Schwert zu stolpern«, gab er bissig zurück.
Roger hob belustigt die Brauen, sagte aber nichts, sondern blickte stattdessen zur Tür, durch die Ida gerade kam. Sie trat zu ihm und küsste ihn.
»Haben wir heute Abend keine Gäste?« Sie sah ihren Mann fragend an.
Roger schüttelte den Kopf.
»Die anderen Richter sind im Haus des Bischofs
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