Die Rose von Windsor: Historischer Roman (German Edition)
verhielt es sich anders. Sie stellten keine Herausforderung dar, Longespee konnte den Prinzen spielen, und sie würden seine Rolle nie in Frage stellen. Die Mädchen fühlten sich zu ihm hingezogen, weil er ihr Bruder war und sie sich von seinem Glanz, seinen Manieren und dem königlichen Blut in seinen Adern blenden ließen. Aber Hugh war älter und nicht so leicht zu beeindrucken, was nahezu unweigerlich zu Rivalitäten führen musste.
Hamelin de Warenne, der Earl of Surrey, Longespees Onkel und Herr der Burg Acre, die nordwestlich von Framlingham lag, riss ihn aus seinen Gedanken. Der Earl war zwischen zwei Gängen aufgestanden und hatte eines der in die Wände der Korridore eingelassenen Urinale benutzt. Auf dem Rückweg
blieb er stehen, um mit Roger zu sprechen. Dabei lehnte er sich gegen den Tisch und verschränkte die Arme.
»Einer meiner Boten hat mir gerade interessante Neuigkeiten überbracht«, murmelte er, dabei warf er Roger einen vielsagenden Blick zu. Er hatte früher dieselben rostfarbenen Haare gehabt wie sein Halbbruder König Henry, und obwohl diese jetzt mehr grau als rot schimmerten, wiesen Brauen und Wimpern noch immer die Farbe eines abgeernteten Weizenfeldes auf.
Rogers Interesse war geweckt, doch er wartete geduldig ab.
»Der gute Bischof von Ely hat seinen letzten Atemzug getan, Gott sei seiner Seele gnädig. Wir haben keinen Kanzler mehr.« Hamelin bekreuzigte sich, doch das boshafte Funkeln in seinen Augen strafte die fromme Geste Lügen.
Roger tat es ihm nach.
»In der Tat. Möge Gott ihm seine Sünden vergeben.« Er widerstand dem Drang zu grinsen, weil das unangemessen und unchristlich gewesen wäre. Außerdem bedeutete Longchamps Tod nicht zwingend eine Verbesserung seiner Lage. Richard brauchte Geld und würde Longchamps Amt mit Sicherheit erneut einem Mann übertragen, der es verstand, die Leute bis auf den letzten Blutstropfen auszusaugen. »Wer soll sein Nachfolger werden?«
»Als Bischof von Ely?« Hamelin schürzte die Lippen. »Eustace of Salisbury, wie ich hörte.« Er blickte zu dem weißhaarigen Prälaten hinüber, der, angetan mit einer prächtig bestickten blaugoldenen Robe, ein Stück von ihnen entfernt am Tisch saß.
Roger zwinkerte überrascht. Eustace war ein ruhiger, kompetenter Geistlicher, in dessen Hände man heikle Angelegenheiten bedenkenlos legen konnte, aber keine so dominante Persönlichkeit wie William Longchamp. Traditionsgemäß war die Leitung des Bistums immer mit dem Amt des Kanzlers verbunden
gewesen, aber er traute Eustace of Salisbury nicht die Fähigkeiten zu, die diese Aufgabe erforderte.
»Soll er auch Kanzler werden?«
»Vorerst jedenfalls.« Hamelin blickte sich um, als die Herolde mit Fanfarenstößen den nächsten Gang ankündigten. »Ah, die Nachspeise – die nächste Raffinesse.« Er verneigte sich vor Roger, nickte Ida zu und kehrte zu seinem Platz zurück.
Seine letzte Bemerkung entlockte Roger ein schnaubendes Lachen.
Ida musterte ihn verdutzt und fragte sich offensichtlich, was er so lustig fand.
Er beschloss, sie nicht länger auf die Folter zu spannen.
»Wer war bis vor kurzem der Bischof von Salisbury und Eustace’ direkter Vorgesetzter?«
Ihre Miene erhellte sich.
»Hubert Walter.«
»Genau. Der Erzbischof von Canterbury zieht noch immer alle Fäden. Er ist kultivierter als Longchamp, aber genauso gerissen und wahrscheinlich noch gefährlicher.«
»Warum hast du dann über de Warennes Bemerkung gelacht?«
Roger lächelte schief.
»Mir hat das Wortspiel gefallen. Genau wie bei einer raffinierten Marzipankreation hängt auch der Erfolg zukünftiger Projekte in diesem Reich von dem schöpferischen Talent der beteiligten Kunsthandwerker ab.«
Eigentlich war der Zeitpunkt für die Zeremonie des Zubettbringens gekommen – traditionsgemäß hätte man Braut und Bräutigam in ihre Kammer geleitet, vor Zeugen entkleidet und in ihr Bett gelegt, damit sie nach dem Segen des Priesters die
Ehe vollzogen. Da die Braut noch ein Kind war, führten die Hochzeitsgäste sie stattdessen in Königin Eleanors ehemalige Gemächer und übergaben sie der Obhut ihrer Zofen.
Longespee sah, wie erschöpft seine junge Braut war, fast am Ende ihrer Kräfte. Ein anstrengender Tag voller Pflichten und Zeremonien lag hinter ihr, aber es hatte ihn angenehm überrascht, wie gut sie sich gehalten hatte. Ihr Auftreten und ihre Manieren waren untadelig. Er konnte ihr keinerlei Vorwürfe machen, und auch jetzt, mit Schatten unter den Augen, spielte
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