Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin
Halterung, flog gegen das Waschbecken und ließ ein Stück Emaille abspringen. Pierre, Beatrice und ein deutscher Wachmann stürmten mit angstgeweiteten Augen in den Raum. Helene saß noch immer auf dem Badewannenrand und starrte den dreien entgegen.
»Alles in Ordnung, Madame?« fragte Pierre in gebrochenem Deutsch, nachdem er sich hastig nach Blutspritzern umgesehen hatte oder nach irgend etwas anderem, was auf einen Selbstmordversuch hindeutete.
»Machen Sie das nie wieder«, sagte Beatrice, die eine Minute gebraucht hatte, ihre Fassung wiederzufinden, »es ist nicht fair. Tun Sie es nie mehr. «
Natürlich hatte sie es wieder getan. Auftritte dieser Art waren
irgendwann zur Regel geworden. Je deutlicher sie gemerkt hatte, daß die Wirkung nachließ — irgendwann trat Pierre nicht mehr die Tür ein, und irgendwann war Beatrice nicht mehr gespenstisch bleich nach einem solchen Vorkommnis —, desto wilder hatte sie sich aufgeführt. Als sie kaum noch eine Reaktion bei den anderen hervorrief, war sie in eine neue Strategie geflüchtet. Sie hatte Krankheiten produziert, Fieberschübe, Migräneanfälle. Einmal war sie so stark abgemagert, daß alle fürchteten, man werde sie in ein Krankenhaus bringen müssen.
Über all dem, dachte sie nun, habe ich Beatrices Liebe verloren. Wenn ich sie überhaupt je besessen habe. Ich war ihr immer nur lästig — und bin es bis heute.
Sie ging ans Fenster, schaute hinaus. Der Wind wurde immer stärker, bis zum Abend würden sie Sturm haben. Eine Tür klapperte im Haus, und Helene drehte sich hoffnungsvoll um.
»Hallo?« rief sie fragend.
Es kam keine Antwort.
Sie parkten an der Petit Bôt Bay, gleich vor dem alten, steinernen Mühlengebäude, in dem sich im Sommer ein kleines Bistro befand. Im Garten standen verlassene Holzbänke und Tische, und nur ein paar Möwen spazierten auf dem Kies herum und pickten zwischen den Steinen. Über den leeren Strand hin konnte man das Meer sehen; grau und dunkel donnerte es heute an die Küste. Die Stufen des Fußwegs, der vom Klippenpfad hinunterführte, glänzten naß von der Feuchtigkeit, die in der Luft hing. Die kahlen Gerippe der Bäume bogen sich gefährlich tief und schwankten willenlos hin und her. Die Möwen stießen hohe Schreie aus, ließen sich vom Sturm pfeilschnell und wie auf einer Achterbahn durch die Luft tragen.
Der Flug nach London wird ungemütlich, dachte Alan.
Er hatte versucht, die Autotür zu öffnen, aber der Wind hatte so sehr dagegengetobt, daß er sie fast nicht aufstemmen konnte.
»Ich glaube, auf einen Spaziergang sollten wir wirklich verzichten«, meinte er genervt.
Maja lachte. »Vom Klippenrand werden wir jedenfalls wahrscheinlich nach ein paar Metern hinuntergepustet. Laß uns gemütlich im Auto sitzen und eine Zigarette rauchen.«
Sie kramte eine Schachtel aus der Tasche und hielt sie ihm hin, aber er winkte ab. Er nahm ihr das billige Plastikfeuerzeug mit dem Aufdruck Rainbow Colours aus der Hand und gab ihr Feuer; dabei kam ihm die Erinnerung, daß Rainbow Colours der Name einer Diskothek etwas außerhalb von St. Peter Port war, die wegen des ausschweifenden Treibens, das dort stattfand, einen schlechten Ruf hatte. Wann war sie zum letztenmal dort gewesen? fragte er sich. Letzte Woche? Vorgestern? In der vergangenen Nacht?
Er wußte, daß sie hinreißend aussah, wenn sie tanzte. Ihr Körper konnte biegsam und grazil sein wie der einer Artistin. Sie hatte ein unglaubliches Gefühl für Rhythmus und Bewegung. Und einen Sex-Appeal, der Männer umwarf. Sie war eine Sensation, wenn sie nur durch einen Supermarkt ging; in einer Diskothek ließ sie alle übrigen anwesenden Frauen zum Nichts verblassen. Mit wie vielen Männern hatte sie in der letzten Zeit getanzt? Mit wie vielen war sie anschließend ins Bett gegangen?
Daß Gedanken wie diese immer noch so weh taten! Er schämte sich für die Heftigkeit seines Schmerzes, für dieses pubertäre Gefühl hoffnungslosen Verliebtseins, ohne mit dem Verstand gegensteuern zu können. Sie spielte mit ihm, sie führte ihn an der Nase herum. Welchen Zweck sie damit verfolgte — wenn sie überhaupt einen im Sinn hatte —, wußte er nicht.
Der Sturm ließ den Wagen schwanken. Maja lachte. »Das Auto bewegt sich, als ob wir hier drin Liebe machen würden«, sagte sie belustigt. »Auf die Entfernung würde das jeder glauben.«
Alan sah sie nicht an. »Würdest du jetzt gern Liebe machen?« fragte er.
Sie nahm einen tiefen Zug von ihrer Zigarette.
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