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Die rote Agenda

Die rote Agenda

Titel: Die rote Agenda Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liaty Pisani
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Namen ihrer alten
Freundschaft.
    »Du wirst
nicht gewinnen«, sagte er müde. »Und sie werden dich ins Gefängnis stecken. Es
gibt nur eins: Verlasse das Land!«
    Der
Präsident hatte langsam genug von diesen defätistischen Äußerungen.
    »Mach dir
um mich keine Sorgen, ich werde sehr gut zurechtkommen«, sagte er und sprach
wie ein Kind, das den Vater beruhigt. »Ich bleibe in Italien! Bin ich der
Präsident dieses verdammten Landes oder bin ich es nicht?«
    Der Senator
warf das Handtuch. »Wie du willst. Dann bleibt mir nur, dir viel Glück zu
wünschen.«
    Der
Präsident antwortete nicht, beendete die Verbindung, klappte das Notebook zu
und rief seinen Sekretär. Er hatte keinen Zweifel, auch der Freund würde
zurechtkommen, es war dumm, sich um ihn Sorgen zu machen. Er fühlte sich
entschieden besser, die Tabletten wirkten wie immer Wunder. Sein Blick
schweifte über die Tragfläche hinaus und erkannte plötzlich in einer großen
schneeweißen Zirruswolke das bärtige Gesicht eines lächelnden Gottes. Das war
ein gutes Vorzeichen, es bedeutete, dass es dem General gelingen [333]  würde,
dieses safe house zu säubern, ohne Zeugen
zurückzulassen, und dass alle Kopien der Agenda verschwinden würden. Dann würde
niemand mehr den Mut haben, den Präsidenten der Republik in eine solche Sache
hineinzuziehen, und er würde sich darauf beschränken zurückzutreten und die
Bühne mit Würde verlassen.
    Er dachte
wieder an den Senator, und während das chemisch bedingte Gefühl von
Leichtigkeit und Optimismus sein Spiel mit ihm trieb, gelangte er zu der
Überzeugung, dass der Freund sich für die Sache opferte. Diese Flucht würde als
offensichtliches Eingeständnis der Schuld betrachtet werden, und er war sich sicher,
dass der Senator sich dazu entschlossen hatte, um ihn zu retten, damit das Land
nicht seines Präsidenten beraubt würde, des großen Steuermanns. »Ja,
Steuermann«, wiederholte er ein paarmal halblaut, besorgt beobachtet von seinem
Sekretär. Der Präsident, begeistert von dieser Bezeichnung, nahm sich vor, sie
am nächsten Tag in seiner Rede zur Einweihung der Brücke zu gebrauchen.
    Er schloss
die Augen und lehnte sich zufrieden zurück, während der Kapitän darum bat, die
Sicherheitsgurte anzulegen.

[334]  50
    »Bevor
auch nur ein einziger Stein für den Bau dieser monströsen Brücke gelegt wurde,
hatte man schon einhundertsechzig Millionen Euro ausgegeben. Dann begann die
große Auftragsorgie vor allem zur Freude der Cosa Nostra und der ’Ndrangheta,
die sich, was diese Angelegenheit betrifft, verbündet haben. Das weiß jedes
Kind.«
    Wer da
sprach, war die betagte, elegante und noch immer sehr schöne Donna Agata. Sie
gehörte zu einer der vornehmsten sizilianischen Familien, die jedoch einiges an
Reichtum eingebüßt hatte, was sie respektabler als andere machte, weil es
bedeutete, dass sie nichts mit dem organisierten Verbrechen zu tun hatte, oder
wenigstens nicht allzu viel. Das galt noch als Auszeichnung im Kreise jener
Adligen, die sich rühmten, die Träger einer Art seltener genetischer Abweichung
zu sein, die im Aussterben begriffen war und die man ironisch das
Gattopardo-Syndrom nannte.
    In der
Villa von Leonella Chiaramonte, wo das wichtigste gesellschaftliche Ereignis
der Saison stattfand, tafelten einige der Gäste auf der großen Terrasse über
der Bucht von Giardini Naxos und bewunderten zwischen den Gängen den
feuerspeienden Ätna. Die Aktivität des Vulkans hielt seit nunmehr einer Woche
an, ohne dass es Anzeichen für ein Nachlassen gab, und begann die Experten zu
beunruhigen.
    [335]  Doch in
dieser Vollmondnacht ließ das besonders beeindruckende Schauspiel ihre
Befürchtungen vergessen. Das kalte weiße Licht des Mondes wetteiferte mit dem
purpurnen Funkeln der glühenden Lapilli und setzte eine Allegorie von Paradies
und Hölle in Szene.
    »Außerdem«,
fuhr Donna Agata fort, »wird die Brücke zu mehr Selbstmorden führen, wie diese
verdammte Golden Gate, und die ist kürzer und nicht so hoch. Wisst ihr, wie die
Amerikaner diese Unglücklichen nennen, die sich von ihrem Goldenen Tor stürzen? – Jumpers«, gab sie sich angewidert selbst zur Antwort. »Zwei Selbstmorde in
der Woche, könnt ihr euch das vorstellen? Und die Idioten diskutieren seit
fünfzig Jahren darüber, ob es angebracht sei oder nicht, Barrieren zu
errichten, die diese Tode verhindern könnten. Doch irgendjemand stellt sich aus
ästhetischen Gründen dagegen, das ist doch verrückt! Und wenn die

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