Die rote Agenda
Und ihm gefiel die
Vorstellung nicht, sich einen, nein zwei Männer dieses Kalibers zu Feinden zu
machen.
Wie immer
schien Branca die Gedanken seines Schützlings lesen zu können. »Gräm dich
nicht. Alimante steht über allem, er wird sich nicht um dich scheren, dazu
hätte er keinen Grund. Er hat bisher nie direkt mit Matteo Trapani zu tun
gehabt, obwohl ja der Boss der Cosa Nostra auch einen – wenn auch unerheblichen – Posten in jener Hierarchie besetzt, an deren Spitze Alimante und die wenigen
Auserwählten stehen. Natürlich würde keine dieser illustren Persönlichkeiten je
zugeben, von den dubiosen Geschäften der Mafia zu profitieren, und manche tun
es auch in gutem [149] Glauben«, fügte er hinzu und grinste hämisch. »Giorgio
Alimante trägt sich, unabhängig von der Vergeltung für Lowelly Greys Tod, mit
einem explosiven politischen Plan, während Matteo Trapani eine Vendetta
betreibt. Jedenfalls musst du dir auch wegen des Paten keine Sorgen machen, in
Zukunft…«
Brancas
Blick verlor sich für ein paar Augenblicke in der Ferne, richtete sich dann
wieder auf Partanna.
»Sieh mal,
Salvatore, Trapani hat wie ich das Massaker an den palermitanischen Familien
überlebt. Matteo war das Patenkind des großen Stefano Montano, des Fürsten, der
ihn aufs Festland schickte, um ihn zu retten. Als Matteo Jahre später nach
Sizilien zurückkehrte, tat er alles, um die Gunst von Totò ò zoppo zu gewinnen,
und er hat es geschafft. Er wurde zu einem seiner grausamsten Killer und stieg
Jahr um Jahr immer höher in der Hierarchie der Cosa Nostra auf. Viele hielten
Matteos Karriere für den wer weiß wievielten Verrat, doch ich nicht…«
Der Alte
unterbrach sich, und seine Miene wurde erneut traurig, als er seinen
Erinnerungen nachhing. »Als man meinen Sohn getötet hatte, schrieb Trapani mir
einen Brief, den ich noch heute verwahre. Ich wusste, dass er nichts mit dem
Tod meines Jungen zu tun hatte, doch dieser Brief bestätigte es mir. Es schien
eine gewöhnliche Beileidsbekundung, doch in Wirklichkeit war es etwas ganz
anderes, denn dieses Schreiben enthielt einige Worte, die nur die engsten
Vertrauten von Stefano Montano, und das waren wir gewesen, als die seinen
erkennen konnten. Er benutzte eine Art Code, verstehst du? Mit diesen Sätzen,
die nur wir dechiffrieren konnten, gab er mir zu verstehen, dass er deshalb zu
den Corleonesen übergelaufen war, weil er nur so, wie das [150] berühmte
Trojanische Pferd, Zerstörung unter sie bringen könnte.«
Bestürzt
riss Salvatore die Augen auf. »Das ist ja Wahnsinn! Und niemand hat je Verdacht
geschöpft?«
Branca
lächelte. »Niemand! Dies war und ist noch immer das Meisterstück des Matteo
Trapani, des wahren und einzigen Erben der Paten von einst. Als er nach der
Ermordung der beiden Richter und den Anschlägen in Mailand, Florenz und Turin
gezwungen war unterzutauchen, war er schon die rechte Hand von Totò ò zoppo.
Und als auch Totò festgenommen wurde, stieg er zum mächtigsten Mann der Cosa
Nostra auf, obwohl alle glaubten, das sei il Vecchio. Seit Jahren hat niemand
Matteo Trapani mehr gesehen, und niemand weiß, wo er sich aufhält. Wenn er mich
kontaktiert, wie er es vor wenigen Tagen gemacht hat, dann immer nur
telefonisch, natürlich mit einem Telefon, das man nicht orten kann. Auch er
will die Agenda, das Original, meine ich, um sich gezielt und ohne
überflüssiges Blutvergießen zu rächen. Nun wird es seine und Alimantes Aufgabe
sein, sie zu finden. Ich werde ihnen dabei helfen, schneller ihre jeweiligen
Wünsche zu erfüllen, und auf diese Weise arbeiten die beiden gleichzeitig für
mich. So werde ich, ohne selbst etwas zu unternehmen oder dich irgendeiner
Vergeltung auszusetzen, den Tod meines Sohnes rächen. Du wirst mit mir
übereinstimmen, dass dies angesichts der Situation mehr ist, als ich je
erwarten konnte.«
»Was genau
gedenken Sie zu tun, wenn ich fragen darf?«
»Nicht mehr
als das, was ich gesagt habe. Ich gebe Alimante den Namen, den der Verräter
unseren Jungs gestanden hat, und das ist nicht weniger als der Name des Mannes, [151] der seinerzeit Totò ò zoppo mit der Ermordung der beiden Richter beauftragt
hat und der heute verzweifelt versucht, die Agenda in die Hand zu bekommen. Wir
sind kein Gericht, wir brauchen keine Beweise und Gegenbeweise, Verhandlungen
und Urteile. Dank dem Geständnis des Schurken sind wir ganz sicher. Die Agenda
liefert viele Beweise gegen den Mann, der den Tod der beiden Richter
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