Die rote Agenda
Ausmaße erreicht hat. Vor zwanzig Jahren war das
Verhältnis zwischen dem Verdienst eines Angestellten und dem einer
Führungskraft auf höchster Ebene eins zu vierzig, heute sind wir bei eins zu
vierhundert angelangt. Dazu kommt, dass sich in Italien das Gesetz keinerlei gesellschaftlicher
Achtung mehr erfreut, und das ist für die Elite nicht von Nutzen. Es war schon
immer unsere Absicht, einen Zustand zu erhalten, der das Leben akzeptabel für
alle macht, um nicht zu viele soziale Unruhen zu erzeugen, die jedoch
unvermeidlich und sehr tiefgreifend sein werden, wenn wir uns weiter auf dieser [217] schiefen Bahn bewegen. Ein von Kriminellen zerstörtes Italien hat nie
unseren Plänen entsprochen. Daher meine auch ich, dass das Problem möglichst
schnell und unter Einsatz aller Mittel gelöst werden muss.«
Der Spanier
schwieg, und Alimante ergriff das Wort.
»In
Sizilien spiegelt sich nicht nur der Verfall Italiens, sondern auch jener der
übrigen westlichen Welt. Es würde genügen zu analysieren, wie die Dinge seit je
auf der Insel ablaufen, um zu verstehen, wie es der Welt ergehen wird, wenn wir
nicht für Abhilfe sorgen. Das wirtschaftliche Problem ist dabei das
drängendste. Es stimmt, in den letzten Jahren hat sich die italienische Politik
von der schlechtesten Seite gezeigt und ist auf eine Art heruntergekommen, die
noch vor fünfzehn Jahren undenkbar war. Wir sind Zeugen mehr als eindeutiger
parteiübergreifender Übereinkünfte zwischen wichtigen Vertretern der Rechten
und der Linken – oder was von ihr übrig ist – geworden, die darauf abzielten,
die Posten im Banken- und Finanzsystem nach Proporz zu besetzen. Und dies alles
nicht nur außerhalb der Direktiven der europäischen Elite, sondern geradezu im
Gegensatz zu ihnen. Folglich muss, wer intrigiert oder dies alles auch nur
erlaubt hat, eliminiert werden. Vor mehr als zwanzig Jahren haben wir diejenige
Partei beseitigt, die Italien ein halbes Jahrhundert lang regiert hat. Wir
haben gehandelt, weil wir der Meinung waren, dass diese politische Mannschaft
nicht mehr zu halten sei, da zwischen ihr und der organisierten Kriminalität
ein zu enges Einvernehmen bestand, was absolut der Wahrheit entsprach. Doch was
sollten wir über die Riege der aktuellen Politiker sagen, die das Land in
wenigen Jahren derart heruntergewirtschaftet und der Mafia ausgeliefert hat?«
[218] Alimante
lächelte. »Es ist immer unsere Strategie gewesen, eine stabile Oligarchie, die
den Anschein der Demokratie wahrt, zu erhalten. Damit dies eintritt und Früchte
trägt, muss die Grenze zwischen Legalität und Kriminalität klar gezogen sein,
zumindest bei der Ausübung jener Macht, die für den Bürger sichtbar ist. In
Italien ist dies immer schwierig gewesen, doch heute fehlt uns allen wegen der
ungeheuerlichen Verquickung von Politik, organisierter Kriminalität,
Unternehmertum und Finanzwelt der Durchblick. Einige Sektoren, die meinen, in
ihrem Einflussbereich machen zu können, was sie wollen, haben eine so enorme
finanzielle Potenz erreicht, dass sie sogar uns vor Probleme stellen.«
Der
Franzose bat um das Wort. Als Spross einer der bedeutendsten Familien
Frankreichs war er schon unter Mitterrand und später unter Chirac ein wichtiges
Mitglied der Regierung gewesen und sprach nun bei dieser Versammlung für den
amtierenden französischen Präsidenten.
»Unser
Freund Alimante hat recht. Die Welt steckt mitten in einer Wirtschaftskrise,
und da können wir ein derartiges monetäres Ausbluten nicht mehr hinnehmen. Die
italienischen Affären mochten bis vor kurzem als ein kleiner Tropfen im
stürmischen Meer der internationalen Politik erscheinen, und vielleicht haben
wir sie deshalb vernachlässigt, doch das war ein großer Fehler, und das
Ergebnis haben wir nun alle vor Augen. Wenn wir nicht die wären, die wir sind,
und nicht die Kontrolle über den halben Planeten hätten, könnte diese
Kriminalität sich weiter in ganz Europa ausbreiten wie eine Metastase, und das
hat sie zum Teil schon getan. Je eher wir uns also von ihr befreien, desto
besser. Wie Juan de La Vega schon gesagt hat: Wir können dieses Land [219] nicht
seinem Schicksal überlassen. Zum Glück haben wir in Frankreich, England und
Deutschland diesen Punkt noch nicht erreicht.«
»Doch wir
werden ihn bald erreichen, wenn wir nicht schnell handeln«, schaltete sich
Alimante ein. »Du hast recht, mein Freund: Diese dreiste Kaste hat jahrelang
den italienischen Staat ausgeraubt, und damit uns. Die
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