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Die rote Agenda

Die rote Agenda

Titel: Die rote Agenda Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liaty Pisani
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Korruption in Italien
ist keine kurzfristige politische Verirrung, sondern eine bewusst angewandte
Methode der Machtausübung, und dies seit den Zeiten von Machiavelli. Wenn ich
sage, das Problem ist im Kern ein ökonomisches, meine ich damit, dass die
schlimmste Folge der Korruption nicht die Zerstörung der gesellschaftlichen und
öffentlichen Moral ist, die wir auf jeden Fall zu erhalten wünschen, sondern
der unausweichliche und nicht wiedergutzumachende wirtschaftliche Zusammenbruch
des Landes. In Italien gibt es seit eh und je eine Kultur der Korruption. Diese
Kultur ist mit der Zeit überall eingedrungen und durchzieht heute die ganze
Gesellschaftspyramide von oben bis unten. Das Gleiche ist – Ironie des
Schicksals – in den Strukturen der Mafia geschehen, als das Kommando von der
alten Mafia, auch hohe Mafia genannt, auf die aktuelle Mafia überging. Der
Jahresumsatz der sizilianischen Mafia liegt bei ungefähr neunzig Milliarden
Euro, das sind sieben Prozent des italienischen Bruttoinlandprodukts. Praktisch
ist die Firma Mafia das größte italienische Unternehmen. Doch ab sofort wird
sich die Mafia, wenn sie weiter existieren will, mit Gewinnen zufriedengeben
müssen, deren Umfang wie früher von uns vorbestimmt wird. Die aktuellen
Politiker jedoch müssen eliminiert werden, so dass ein substantieller Wechsel [220]  stattfinden
kann, wie damals, als die Erste Republik von der Zweiten abgelöst wurde. Wie
sagt doch eine alte Redensart: Aller guten Dinge sind drei. Deshalb werden wir
nun die Dritte Republik gründen.«
    Der
Deutsche räusperte sich und machte eine ärgerliche Handbewegung. »Die
Korruption des politischen Systems ist eine obszöne italienische ›Normalität‹,
eine alte Eigenheit. Die Mafiosi als bewaffneter Arm dieser ›Normalität‹ wurden
schon immer geschützt, denn sie sind Spezialisten, derer man sich im Notfall
bedienen kann, etwa bei politischen Morden, bei Anschlägen, schlicht bei allem,
was dazu dient, Elemente aus dem Weg zu räumen, die das System – besser: ›ihr‹
System stören. Darüber hinaus ist bekannt, dass die Mafia oft im Dienst der
amerikanischen Elite operiert und unendlich viel Unheil angerichtet hat. Leider
ist Italien ein Land, in dem die Demokratie in den Kinderschuhen steckt. Man
kann nicht leugnen, dass es in keinem anderen Land Europas einen so konstanten
und kontinuierlichen Einsatz von politischer Gewalt und Korruption gegeben hat.
Um nur ein ganz kleines Beispiel zu nennen: Die Briefe gewisser inhaftierter
Mafiosi an ihre Familien, die nach dem berühmten Artikel 41bis nicht hätten
zugestellt werden dürfen, um jeden Kontakt mit der Außenwelt zu unterbinden,
werden ungestraft in der größten Tageszeitung Siziliens veröffentlicht – eine
klare Machtdemonstration, weit über die Inselgrenzen hinaus! Dieses kaum zu
rettende, respektlose Land, lieber Alimante, hat es zugelassen, dass seine
besten Männer getötet wurden. Die Kur muss drastisch sein, sonst wird Italien
die Schwachstelle Europas, wenn es das nicht schon längst ist.«
    [221]  Alimante
zog die Augenbrauen hoch und warf dem deutschen Politiker einen undefinierbaren
Blick zu. »Tatsächlich haben sich die Dinge in den letzten dreißig Jahren ein
wenig verändert. Heutzutage ist an die Stelle der hohen Mafia von einst, mit
ihren Regeln und ihrem insgesamt untergeordneten Verhältnis zur Politik, eine
Art Geheimgesellschaft getreten, so etwas wie ein exklusiver Club. Das muss man
sich einmal vorstellen: ein Ort des Rückzugs, eine Art Verrechnungsstelle, wo
sich die White-Collar-Kriminellen verbergen, die die Strippen des Landes ziehen
und damit die Mächtigen in ganz Europa zappeln lassen, und das – es tut mir
leid, dies sagen zu müssen, lieber Helmuth – besonders in Deutschland. Das
Problem betrifft also, ich betone es noch einmal, inzwischen die internationale
Wirtschaft und nicht nur die italienische.«
    Alimante
schwieg ein paar Augenblicke lang, dann hob er erneut den Blick und sah seine
Gäste an. »Bevor ich euch detailliert die Operation, die wir durchzuführen
gedenken, darlege, möchte ich auf die so weit korrekte Analyse unseres Freundes
Helmuth eingehen – wir wollen schließlich nicht alles über einen Kamm scheren.
Ich werde euch also die Ergebnisse einer kleinen Erhebung darlegen, ihr wisst
gut, wie pragmatisch ich bin«, fügte er mit einem Anflug von Selbstironie hinzu.
    Doch als er
weiterredete, war sein Blick ernst und seine Stimme schneidend.

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