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Die rote Farbe des Schnees

Die rote Farbe des Schnees

Titel: Die rote Farbe des Schnees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Holmy
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zugefügt worden waren.
    „Du bist in der Tat eine
vielbeschäftigte Frau, was?“ Amál hat seine Sprache wiedergefunden und lächelt
sie mit verschleiertem Blick an. „Hast du auch was gegen gebrochene Herzen?“
    „Nein, sonst hätte ich es schon
längst selbst genommen“, raunt sie zurück. „Ein Übermaß an Ale ist jedenfalls
nicht heilsam.“
    „Aber ratsam, da kurzzeitig
dagegen wirksam“, prustet er albern hervor, worauf Joan ungehalten den Kopf
über ihn schüttelt. Sie wendet sich wieder an Gerold, welcher Amál nachdenklich
betrachtet.
    „Zeig mir dein Bein“, verlangt
sie, wobei sie etwas von ihm abrückt und ein Bein über die Bank hebt, so dass
sie rittlings auf dieser zu sitzen kommt. Er tut es ihr gleich. Dabei nestelt
er an seinem linken Beinling, um diesen einen Moment später nach unten zu
ziehen, damit sie seinen bloßen Unterschenkel betrachten kann. Sie erkennt die
leichte Fehlstellung der beiden Knochenenden, die etwas gegeneinander versetzt
wieder zu seinem Schienbein zusammen gewachsen sind. „Oh Gerold, warum nur
kommst du so spät? Ich fürchte, nicht mehr viel richten zu können. Der Bruch
ist verheilt und lässt sich nur schwer wieder aufbrechen, da er fester ist als
der restliche Knochen. Dein Schienbein würde an einer anderen Stelle brechen,
denke ich.“
    „Aber du bist nicht sicher“,
fragt er mit einem Hoffnungsschimmer.
    „Nein.“
    „Dann versuche es trotzdem.
Schlimmer kann es doch nicht werden, oder?“
    „Du hättest schlimmstenfalls
einen neuen Bruch, mit großem Pech einen dritten im Wadenbein ...“
    „Die du ja sogleich versorgen
könntest“, unterbricht er sie.
    „Dein Vertrauen in meine
Heilkünste ehrt mich. Doch lass dir gesagt sein, dass ich noch nie einen falsch
verheilten Beinbruch gerichtet habe.“
    „Wann kannst du anfangen?“
    Sie
seufzt. Dann überlegt sie. Die Mondphase ist günstig. Kein Vollmond, der Wunden
stark bluten und schlecht verheilen lässt. Entsprechende Kräuter hat sie
vorrätig, muss sie jedoch noch aufbereiten. „Nachher, ... in deiner Kammer.
Aber ich habe dich gewarnt!“
    Joan geht
müde zu ihrer Kemenate hinüber. Es ist schon spät. Sie konnte Gerolds Bruch
entgegen ihrer Befürchtungen erfolgreich richten. Seinen Unterschenkel hat sie
geschient, ihn mit einem in einem Beinwell-Aufguss getränkten Umschlag
versehen, damit das Knochenwachstum gefördert wird, und ihm, als er wieder bei
Bewusstsein war, zur Heilung des Bruches Sanikel-Absud eingeflößt. Überdies
gebot sie ihm, ihn wenigstens im kommenden Monat nicht zu belasten. Dabei hatte
sie sich vorbehalten, diese Frist noch verlängern zu können, denn sie hat keine
Erfahrung darin, wie lange ein Beinbruch heilt.
    Sie hört schleppende Schritte,
die von lustigem Gesang begleitet werden, vom Treppenturm heraufhallen. Es ist
Amáls von Wein und Ale geölte Stimme, worauf sich Joan beeilt, um in ihr
Schlafgemach zu gelangen. Da öffnet sich plötzlich die Tür zu Malcoms Kemenate
und eine junge Magd tritt heraus. Die kleine, schlanke Gestalt schließt die
Tür. Als sie sich umwendet, starrt sie Joan erschrocken an. Diese kann keinen
klaren Gedanken fassen, blickt fassungslos auf sie hinab. Die Magd rafft mit
einem Male ihren Rock und hastet weg in den Treppenturm. Dort prallt sie mit
Amál zusammen, der sie lachend begrüßt.
    Joan kommen verzweifelte
Tränen. Nie hätte sie geglaubt, dass Malcom dazu im Stande wäre, sie derart zu
hintergehen. Er hat sie einfach aufgegeben. Schluchzend öffnet sie ihre Tür,
geht zu ihrem Bett und lässt sich darauf nieder fallen, um weinend das Gesicht
im Federkissen zu vergraben.
    „Joan? Soll das eine Einladung
sein?“
    Sie blickt erschrocken auf und
gewahrt Amál in ihrer noch offen stehenden Tür. Ihm vergeht bei ihrem
aufgelösten Anblick das Grinsen. Zögernd tritt er ein.
    „Was ist passiert?“ Er lallt
leicht, scheint aber ganz klar zu sein.
    „Amál, könntest du mich einfach
in die Arme nehmen“, schnieft sie.
    Nach kurzem Überlegen schließt
er die Tür. Langsam kommt er auf sie zu und bleibt vor ihr stehen. „Warum
weinst du?“
    Als sie beginnt, wieder zu
schluchzen, setzt er sich zu ihr aufs Bett, um ihr beruhigend übers Haar zu
streichen. „Joan. Was hast du bloß?“
    Sie tastet nach seiner Hand und
drückt sie an sich. „Halt mich einfach fest.“
    Seufzend legt er sich neben
sie. Dann nimmt er einen Arm um sie herum und zieht sie an sich. Sein Atem
riecht nach Ale. „Gnade mir Gott, wenn uns Malcom so

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