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Die rote Farbe des Schnees

Die rote Farbe des Schnees

Titel: Die rote Farbe des Schnees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Holmy
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„Fängst du schon
wieder damit an“, erwidert er ungeduldig, stützt sich etwas hoch und drückt
eindringlich ihre Schulter. „Versprich mir, dass du nichts dergleichen
unternimmst, Joan. Es führt unweigerlich zu einer Verschlimmerung unserer Lage.
... Glaube mir. Ich habe schon erlebt, was sie mit Flüchtlingen anstellten,
nachdem sie diese wieder aufgegriffen hatten. ... Und sie kriegen sie fast
immer.“
    „Was haben sie mit ihnen
gemacht? Umgebracht sicher nicht, dann wäre ja das Lösegeld weg.“
    „Es gibt eine Menge Dinge,
gegen die der Tod wie eine Erlösung erscheint, Joan. ... Hast du nicht vor
kurzem selbst erlebt, was sich Menschen gegenseitig antun können, wenn sie sich
nur genügend hassen? ... Das sicherste Mittel, jemanden noch einmal an einer Flucht
zu hindern, ist, ihm die Augen mit einem glühenden Eisen auszubrennen oder ihm
einfach die Füße abzuhacken. Ganz zu schweigen von den Vergeltungsmaßnahmen,
die sie sich aus bloßer Genugtuung einfallen lassen. Soll ich fortfahren?“
    „Nein.“ Sie ängstigt die bloße
Vorstellung.
    „Dann versprich es mir!“
    „Ja, schon gut. Versprochen.“
    Er lässt sie wieder los und
legt sich zurück ins Stroh.
    Versöhnlich nimmt sie einen Arm
um seine Taille und schließt die Augen. Seine Nähe beruhigt sie, lässt sie die
Trostlosigkeit und Kälte um sie herum vergessen. Vielleicht hat er ja Recht und
sie sollten abwarten, bis sie ausgelöst werden. Nur fällt es ihr seit jeher
schwer, sich in Geduld zu fassen, wenn es um ihre Freiheit geht. ... Doch
immerhin ist ihre Gefangenschaft erträglich. Bisher jedenfalls. Sie sind
zusammen und wenn sie nur ruhen, werden sie mit der kargen Nahrung auskommen.
Allmählich findet sie in einen unruhigen Schlaf.

Northmoor Castle
    Sie werden
vom geräuschvollen Schleifen zurückgezogener Türriegel geweckt. Als sich die
Tür öffnet, stützt sich Joan irritiert hoch. Sie blinzelt gegen die schmerzhaft
blendende Fackel.
    „Junge, komm heraus!“ Der Alte
steht abwartend am Eingang zu ihrem Verlies. Joan blickt zu Malcom, der ihr im
Stroh sitzend wortlos zunickt. Sie erhebt sich eilig und tritt auf den Gang
hinaus. Der Alte stößt die Tür wieder zu, schiebt drei schwere Balkenriegel vor
und dreht einen großen Schlüssel im Türschloss herum. Dieser hängt neben etwa
einem Dutzend anderen an einem eisernen Ring, welchen der Alte scheppernd
wieder an seinem Gürtel befestigt.
    „Wie lautet dein Name?“
    „Jack.“ Joan blickt ihm in
seine eisblauen Augen. Sein Gesicht wirkt bleich. Sicher sieht er kaum das
Tageslicht.
    „Du wirst in den Stallungen
verlangt, Jack. Wenn du dort fertig bist, gehst du in die Küche und fragst nach
Bess“, weist er sie an, wobei er sich beim Namen der Frau grinsend mit der
runzeligen Hand über den haarlosen Kopf streicht. „Bestell ihr schöne Grüße vom
alten Tom, ihrem heißesten Verehrer und komm dann wieder her. ... Hast du alles
verstanden?“
    Joan nickt verwundert.
    „Dann beweg dich!“ Er versetzt
ihr in altersgebeugter Haltung einen Klaps über den Kopf. Joan lässt sich nicht
zweimal bitten. Eilig läuft sie den Gang entlang auf eine steinerne Treppe zu.
Dabei kommt sie an etlichen weiteren verriegelten Türen vorüber. Als sie die
Treppe erreicht, an deren Fuß in einer Seitennische ein Tisch mit zwei Bänken
stehen, nimmt sie gleich zwei Stufen auf einmal. Doch die Treppe ist lang und
steil und zwingt sie zu immer kleineren und langsameren Schritten. Fackeln an
den Wänden erhellen den Gewölbegang. Schließlich nimmt sie atemlos die letzte
Stufe, wobei sie sich mit den Händen auf den Oberschenkeln mühevoll abstützt,
und drückt eine niedrige Holztür auf. Sie findet sich in einer großen Wachstube
wieder. Zwei Wachleute fläzen gelangweilt an einem Tisch und blicken ihr
gleichgültig entgegen. Sie erkennt den Bulligen, der mit einer Hand zu einer
Tür weist. „Da entlang, Bürschchen.“
    Sie folgt der geheißenen
Richtung. Dabei kommt sie an einer Seitentür vorüber, die in ihrer Erinnerung
in die Waffenkammer führte. Als sie zur schweren Haupttür gelangt, stemmt sie
sich dagagen und wird von gleißendem Sonnenlicht überrascht, das ihr unvermutet
entgegen strahlt. Während sie es mit einer Hand abschirmt, geht sie blinzelnd
ein paar Schritte im großen Burghof umher, der nun in der heißen Mittagszeit
wie leergefegt ist. Joan genießt die Wärme. Sie hat das Gefühl, soeben aus
einem eisigen Grab auferstanden zu sein und nimmt tiefe Atemzüge von

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