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Die rote Farbe des Schnees

Die rote Farbe des Schnees

Titel: Die rote Farbe des Schnees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Holmy
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Gras um ihn herum ist niedergetrampelt. Er kann es an seiner
kurzen Leine nicht erreichen. Als sie näher kommen hebt er den schönen Kopf.
Joan erkennt an den blutigen Striemen, dass er gepeitscht wurde und wird wütend.
Brix wiehert freudig, als er sie erkennt und nickt schnaubend mit dem Kopf.
Während ihre Begleiter hinter ihr stehen bleiben, kommt ihm Joan nun ganz nahe.
Sie streckt ihm die Hand entgegen und Brix stupst diese sogleich mit dem
weichen Maul an. Daraufhin lehnt sie ihre Stirn gegen seinen Hals. „Alles wird
gut, Brix. Wirst schon sehen. Du musst fressen und dich benehmen, sonst werden
sie dir wieder weh tun.“ Grimmig blinzelt sie zu ihnen herüber. Indes der
Burgherr ein triumphierendes Lächeln aufgesetzt hat, betrachtet der Stallknecht
die Szene überrascht. Die beiden unterhalten sich dann erneut, wobei der
Stallbursche etliche Anweisungen nickend entgegen nimmt. Sein Herr wendet sich
alsbald von ihm ab und schlendert offenbar guter Dinger wieder zurück durch die
Öffnung in der Ringmauer.
    Sichtlich erleichtert bläst der
Bursche die Luft aus und kommt gemächlich auf Joan zu.
    „Ich würde das nicht tun. Er
lässt nur mich und meinen Herrn an sich heran“, warnt Joan ihn kühl.
    Er bleibt verunsichert stehen.
„Wo liegt das Geheimnis?“
    Spöttisch blickt sie ihm ins
erwartungsvolle Gesicht. „Es gibt keins. Entweder er mag dich, oder nicht.“
    „Lass das meinen Herrn nicht
hören“, erwidert er unglücklich.
    „Auch wenn du ihn schindest,
wird sich nichts daran ändern.“
    Er ist verlegen. „Ich hab’ ihn
nicht geprügelt. Das war Mac Gennon.“ Er weist mit dem Kopf in die Richtung, in
welche sein Herr verschwand und räuspert sich. „Könntest du ihn fürs Erste in
seinen Stall führen und ihm zu fressen geben?“
    Joan indes schnaubt wütend.
„Nun wird er deinen Herrn niemals aufsitzen lassen. Er scheint keinen Deut von
Pferden zu verstehen. Sie verzeihen es einem nie, wenn man sie schlägt!“ Auf
die betretene Miene des Stallburschen hin bläst sie ohnmächtig die Luft aus.
Schwerlich kann sie ihm einen Vorwurf aus dem Jähzorn seines Dienstherrn
machen. So nickt sie schließlich. „Sicher will ich ihn versorgen. Wie lange hat
er nichts gefressen?“
    Der Stallbursche runzelt die
Stirn. „Na, seitdem er hier ist“, gibt er schwerfällig zurück, so dass Joan
ungeduldig die Augen verleiert.
    „Ich weiß. Aber man kann die
Zeit in der eintönigen Dunkelheit des Kerkers schlecht abschätzen, weißt du.“
    Er blickt sie nachdenklich an.
„Zwei Tage.“
    Joan ist überrascht, dass sie
schon so lange hier sind. Nickend wendet sie sich wieder Brix zu, um ihn von
der Mauer loszumachen. Auf dem Weg zu den Stallungen folgt er ihr bereitwillig.
Er erhält eine geräumige Box in einem kleinen Nebengelass nahe des
Hauptstalles. Joan versorgt ihn mit Hafer und Heu und gibt ihm Wasser zu
saufen, nachdem sie zuvor ihren eigenen quälenden Durst zur Genüge stillte.
Geduldig wartet sie ab, bis sich das hungrige, halb verdurstete Tier gelabt
hat. Dann reinigt sie seine Hufe von Steinen und Dreck, streicht sie mit Huföl
ein und überprüft Eisen und Nägel. Mit einem feuchten Tuch wischt sie ihm
behutsam Augen, Nüstern und Lippen ab, wäscht seine Wunden mit klarem Wasser
aus. Erst, wenn die Striemen abgeheilt sind, wird sie sein Fell bürsten. Am
Ende kämmt sie Dreck und eingefangene Kletten Strähne für Strähne aus Mähne und
Schweif heraus. Sie lässt die obere Hälfte seiner zweigeteilten Tür geöffnet,
so dass die Sonne zu ihm hereinscheinen kann, verwöhnt ihn sowohl mit
Streicheleinheiten als auch einer süßen Rübe, um sich dann schweren Herzens von
ihm zu verabschieden.
    Mittlerweile ist später
Nachmittag. Der Hof hat sich mit geschäftig umherlaufenden Mägden und Knechten
belebt. Der Stallbursche hatte sie noch angewiesen, morgen wieder zu kommen.
Joan schlendert über den Burghof und wendet sich dem Wohnturm zu. Nachdem sie
die Schwelle überschritten hat, steuert sie in jene Richtung, aus welcher
Geschepper und lautes Lachen dringen. Neugierig drückt sie die Tür zur Seite
und gewahrt in der schwülen Küche das emsige Treiben von Mägden, Köchen und Küchenjungen,
die das Abendmahl bereiten. Sie erwischt eine Küchenmagd an der Schürze und
fragt sie nach Bess. Diese weist freundlich mit dem Finger auf eine beleibte
ältere Frau an einer der beiden Kochstellen, um dann wieder ihrer Beschäftigung
nachzugehen. Noch während sich Joan dorthin begibt, vernimmt

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