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Die rote Halle

Die rote Halle

Titel: Die rote Halle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karla Schmidt
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nach ihrer Schneiderschere, die auf dem Tisch lag, und
begann, den Sack aufzuschneiden, zog das Plastik beiseite. Der erste Gedanke,
der ihr in den Leib fuhr, war Leiche .
    Die Haut sah so menschlich aus, so bleich und rosa.
    Â»Wie lange hält sich so was?«, wollte Simon wissen.
    Â»Im Kühlschrank? Vielleicht eine Woche?«
    Â»Und wenn es zu stinken anfängt?«
    Â»Wir kriegen regelmäßig neue, und sie nehmen die alten wieder mit.«
    Simon streckte vorsichtig eine Hand aus und legte sie ganz sanft auf
die Haut.
    Â»Das ist echt so was von krass.«
    Â»Im Supermarkt gibt es sogar getrocknete Schweineschwarte zum
Knabbern. Wenn man so was essen darf, dann darf man es auch anziehen. Oder
Kunst draus machen«, sagte Janina entschieden.
    Dennoch schob sie Simon beiseite, denn der Anblick seiner Hand auf
der toten Haut behagte ihr nicht. Sie riss den Plastiksack weiter auf und
stopfte ihn in den großen Mülleimer unter dem Tisch.
    Â»So«, sagte sie mit in die Hüften gestemmten Fäusten.
    Â»Was mache ich jetzt mit dir?«
    Und dann packte sie zu, beherzt, denn sie würde es ohnehin die
nächsten Wochen immer wieder tun müssen. Trotzdem versetzte ihr die Kälte der
Haut einen kleinen Schock, und sie musste den Widerwillen niederkämpfen. Sie
schlug eine Kante der Haut um, damit sie die Innenseite ansehen konnte. Sie war
gelblich und glatt.
    Â»Unterhautfettgewebe«, murmelte sie. »Konnten die das nicht
abmachen?«
    Dann zog sie eine Schublade auf, holte eine Ahle heraus und
probierte aus, wie gut sie damit durch die Haut kam. Sie musste die Ränder so
präparieren, dass sie sie ohne großen Aufwand zusammennähen konnte, und zwar in
einer kurzen Umziehpause, während der Dave nicht auf der Bühne war. Und es
musste möglich sein, die Haut zu zerreißen. Und das musste sie ausprobieren. Am
besten jetzt gleich. Sie würde es ohnehin tun müssen.
    Janina kämpfte einen Anflug von Übelkeit nieder. Sie packte mit
beiden Händen den Rand der Haut, riss mit der einen Hand in die eine Richtung,
mit der anderen Hand in die andere Richtung.
    Â»Mam! Krass!«
    Simon wich ein paar Schritte zurück, die Hände erhoben, als ob er
sie sich jeden Moment vors Gesicht schlagen wollte, während Janina sich
abmühte.
    Nichts geschah. Die Haut war viel zu dick und fest, man konnte sie
nicht einfach zerreißen wie einen Stofffetzen.
    Â»Mist. Ich muss die Stellen irgendwie vorschneiden.«
    Vielleicht mit einem Skalpell bis ganz knapp unter die oberste
Hautschicht? Die Löcher für die Nähte könnten die Ausgangspunkte für die
Rissstellen sein. Von außen würde man das nicht sehen. Janina nahm einen Cutter
aus der Schublade und schnitt zuerst die Fettschicht durch. Versuchte, zu
reißen. Zu schwierig. Also die nächste Schicht.
    Â»Mam?«
    Aber es ging immer noch nicht.
    Â»Mam!«
    Â»Was denn!«
    Janina riss noch einmal.
    Â»Ich habe gestern Nacht einen Jungen gesehen. Ich glaube, es ging
ihm sehr schlecht. Ich glaube wegen Drogen.«
    Plötzlich gab die Haut nach und riss mit einem hässlichen,
jammernden Geräusch ein. Janina stieß sie von sich, sodass sie vom
Zuschneidetisch auf den Teppichboden rutschte.
    Â»Du hast was? Wo denn?«
    Der Straßenlärm dröhnte durch das anschließende Schweigen, das für
Janina viel zu lange dauerte.
    Â»Er war in diesem alten, leeren Flughafenrestaurant, ich habe ihn
nur durch die Scheibe gesehen.«
    Â»Und wieso läufst du nachts allein im Flughafen herum?«
    Â»Weil … Mam, das ist doch gerade egal …«
    Die Tür wurde aufgerissen, und Rost zog an Simon vorbei, kam direkt
auf Janina zu.
    Â»Und wieso läuft er überhaupt hier rum?!« Seine Wangen zitterten vor
Zorn. »Ich habe mich wohl nicht klar genug ausgedrückt. Keine Beschäftigung
neben den Roten Schuhen ! Nicht bei meiner
allerletzten Inszenierung! Wenn du das nicht auf die Reihe bekommst, dann geh
besser gleich wieder!«
    Janina antwortete nicht, weil sie nicht wusste, was sie darauf hätte
sagen können. Sie war sich nicht einmal sicher, ob sie Rost richtig verstand,
und als sie merkte, wie sie mehrmals den Mund auf und zu klappte wie ein Fisch,
ohne dass ein Wort dabei herauskam, stellte sie auch diese Reaktion ein.
    Simon zeigte Josef Rost hinter seinem Rücken den Mittelfinger und marschierte
hinaus.
    Â»Simon, warte mal!«, rief

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