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Die rote Halle

Die rote Halle

Titel: Die rote Halle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karla Schmidt
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nachts hier herumlief. Der Hilfe brauchte. Ja, genau. Das war
es. Deswegen wollte er dem Jungen nach. Wenn sich kein Erwachsener darum
kümmerte, würde er sich eben darum kümmern müssen.
    Entschlossen kehrte Simon zum Bettenhaus zurück, betrat das Foyer
durch eine Seitentür. Der Empfang war nicht besetzt. Simon schwang, genau wie
letzte Nacht, die Beine über den Tisch, öffnete die Schublade, zog das Gewirr
von Schlüsselringen heraus und war mit einer einzigen, gleitenden Bewegung auch
schon wieder auf der anderen Seite. Bevor der Hausmeister nicht wiederkam,
würde die keiner vermissen, und der hatte ja gesagt, dass er nicht oft kam.
    Die Schlüssel passten nicht in die Taschen seiner Jeans, aber das
war ihm egal. In den Bereichen des Flughafens, wo er hinwollte, würde er
niemandem über den Weg laufen, den es kümmerte.

TAG 3 – ABSTURZ
    Das Eldorado lag im rechten
Flügel des Flughafens und war ein Ort für Erwachsene. Also würde Rost hier
keine Kinder treffen, was vieles einfacher machte. Er wählte eine lederne
Eckbank. Das Licht war schummrig, die Luft eine Spur zu warm, und am anderen
Ende des unterirdischen Raumes schimmerte ein Goldlamé-Vorhang, der eine kleine
Burlesken-Bühne verbarg. Abends gab es hier Vorführungen, die auch gern von
Polizisten besucht wurden. Die gesamte, ausladende Backsteingotik auf dem
Columbiadamm gehörte denen, auf dem Tempelhofer Damm hatten sie einen Neubau,
und wenn man die Kellertreppe hinauf und Richtung Platz der Luftbrücke ging,
erreichte man nach zweihundert Metern den Haupteingang des Berliner
Polizeipräsidiums. Rost fand es amüsant, dass sie den Reichsadler nicht von
ihrer Fassade entfernt hatten.
    Er füllte sich ein Glas mit Wasser aus der Karaffe, die auf dem
Tisch stand, und warf sich eine Handvoll Schmerztabletten aus seiner
Jacketttasche in den Mund. Die Wirkung setzte schnell ein, sie erdete ihn,
hielt seinen Geist im Körper und am Boden fest. Keine unfreiwilligen
Flugstunden mehr. Er hatte Arbeit zu erledigen. Darum war er auch froh über die
viele Polizei um sich herum. Ihre Nähe würde ihm Sicherheit geben, würde seine
letzten Wochen strukturieren. Er würde nichts Verbotenes tun, egal wie stark
der Wunsch noch werden würde. Nur seine Arbeit machen. Etwas anderes gab es
nicht mehr auf der Welt.
    Ein Zittern lief durch Josef Rosts Körper. Andererseits, er hatte
sein Versprechen gehalten. All die Jahre. Aber jetzt, was hatte er noch zu
verlieren? Er wusste, wer der Kontaktmann damals gewesen war. Er würde ihn
wiederfinden, wenn er ihn brauchte. Für ein- oder zweihundert Euro und ein
kleines Trinkgeld dazu, was war das schon? Rost befühlte den Umschlag in seiner
Innentasche. Doch darum hatte er das viele Geld nicht abgehoben. Darum nicht.
    Warum hatte er noch mal das Geld abgehoben? Wofür brauchte man auf
einen Schlag fünftausend Euro in bar? Rost wusste, dass er gleich darauf kommen
würde. Er hatte es fast. Es hatte etwas mit dem Jungen zu tun, Simon. Genau, er
würde sich entschuldigen, hatte er Janina gesagt. Absolution, Ablass, ein
Freikauf. Genau. Eine Studienreise oder etwas in der Art. Japan war doch gerade
in. Jedenfalls etwas, das ihn von ihm fernhielt. Er musste nur noch den Mut
aufbringen, ihm zu begegnen.
    Und darum war er hier, wegen des Muts, dafür brauchte er Zeit,
musste sich erst einmal in dem Gedanken neu einrichten, damit er nicht wieder
davonflog. Und da war noch etwas gewesen. Er kam nur gerade nicht darauf.
    Zu der Bedienung, die schon seit Ewigkeiten mit einem
schweinchenfarben glänzenden Lächeln und gezücktem Block an seinem Tisch zu
stehen schien, sagte er mechanisch:
    Â»Doppelter Whiskey.«
    Â»Scotch oder Bourbon?«
    Â»Mir schnuppe.«
    Die Bedienung stöckelte los, sein Blick folgte ihr zur Bar.
    Und blieb an einem endgültigen Beweis dafür hängen, dass Gedanken
gestalterische Kraft haben. Da stand er. Der Kontaktmann. Hanno Lang. Rost
hatte ihn ins Eldorado gedacht. Er musste besser
aufpassen, damit er auf diese Weise nicht noch Schaden anrichtete. Aber wozu
liefen denn die ganzen Bullen hier rum, wenn sie nicht mal Typen wie den da
fernhalten konnten? So einen widerlichen, schmierigen, brutalen … Rost machte
eine Geste, als wollte er den Mann dort an der Bar wegwischen. Doch im selben
Moment, als er das Gesicht mit dem Schnauzbart und den Aknenarben entdeckt
hatte, wusste er, dass es

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