Die roten Blüten der Sehnsucht
Trixie erzählte mir vorhin, dass unsere kleine Wilde endlich eingewilligt hat, Schuhe zu tragen. Anscheinend hat Robert sie dazu gebracht. Erstaunlich, wie der Junge sich ihrer annimmt.«
» Ja, ich habe meinen Kavalier an eine Jüngere verloren.« Catriona seufzte theatralisch. » Seit Vicky hier im Haus ist, haben wir nicht eine einzige Schießstunde abgehalten. Dabei fing er gerade an, so treffsicher zu werden, dass ich dachte, wir könnten zur Vogeljagd übergehen. Es wimmelt hier ja geradezu von Enten und Brachvögeln.«
Dorothea hätte ihr sagen können, dass Robert zwar Entenbraten über alles liebte, die Jagd und das Töten jedoch lieber anderen überließ. Eine verletzte Stockente, der es trotz eines gebrochenen Flügels gelungen war, ihren Häschern laut schreiend immer wieder zu entkommen, bevor John ihrer endlich habhaft geworden war und ihr den Hals umgedreht hatte, hatte ihn so verstört, dass er sich fortan geweigert hatte, Parnko und John zu begleiten.
Aber das hätte Catriona vermutlich lächerlich gefunden. Also meinte Dorothea nur: » Vielleicht ist es ganz gut, wenn ihr dieses Vergnügen in Zukunft einstellt. Ian war nicht gerade begeistert davon, dass ihr so viel Munition verbraucht habt.«
» Oh, ist das ein Problem?« Catriona riss erschreckt die Augen auf. » Ich muss gestehen, ich habe gar nicht darüber nachgedacht. Onkel Hugh hat immer so reichlich davon in der Gewehrkammer, dass ich natürlich davon ausging, ihr hättet auch noch Vorräte.«
» Nein, so viel Munition brauchen wir hier nicht. Für die Jagd fehlt immer die Zeit, und bisher haben wir uns Gott sei Dank auch nicht gegen Angreifer verteidigen müssen– außer denen, die du in die Flucht geschlagen hast, Cousine«, sagte Dorothea und schmunzelte. » Entschuldigt mich, Trixie hat mich gebeten, Heathers alte Garderobe durchzusehen.«
Rechts an der Wand der Kleiderkammer stand der stabile Schrank, in den sie Heathers Kleider gehängt hatten, nachdem Catriona ihr Zimmer bezogen hatte. Einen Teil hatten sie für Mary umgenäht. Aber es war noch reichlich Auswahl vorhanden. Dorothea versuchte im Geist abzuschätzen, welche davon für Vicky infrage kamen. Keine mit Rüschen übersäten und auch keine mit zu viel Schleifen in lieblichen Pastellfarben. Ein Ärmel aus dunkelblauem Samt zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. Ein Reitkleid. Es war das Kleid, das Heather an dem Tag der Entführung getragen hatte. Blitzartig tauchte in ihrem Kopf das Bild von Heather auf, die sich an den Hals ihres Ponys Princess geschmiegt hatte. Das Letzte, woran sie sich erinnern konnte, bevor sie in der Gewalt des Skelettmanns wieder zu sich gekommen war. In ihren Ohren klang wieder die wilde Verzweiflung in Sams Stimme, der gebrüllt hatte: » Verdammt, bringen Sie endlich das Kind von hier weg.« Schaudernd schob sie den Stoff zurück zwischen all die anderen heiter karierten und geblümten Kattunkleider.
Ob Heather ebenfalls unter solchen Erinnerungen litt? Sollte sie ihr schreiben und sie das fragen? Oder wäre es unnötig grausam, sie an Dinge zu erinnern, die sie unter Umständen bereits vergessen hatte? Sie war noch so klein gewesen. Wie selbstverständlich hatten alle Erwachsenen sie, so gut es ging, gegen die grausamen Realitäten abgeschottet. Und Heather hatte nie nachgefragt. Hatte sie niemals wissen wollen, was genau vorgefallen war?
Jetzt war sie alt genug. Dorothea nahm sich fest vor, bei nächster Gelegenheit mit ihrer Stieftochter offen zu sprechen. Heather hatte ein Recht darauf zu erfahren, wie Robert gestorben war.
Nach einigem Nachdenken wählte sie ein rot-grün kariertes Kattunkleid, ein mit unzähligen bunten Blüten besticktes Samtkleid sowie eines aus schlichtem, dunkelblauem Barchent sowie zwei Schürzen, zwei warme Flanellnachthemden, Unterwäsche und passende Kragen und Manschetten aus. Gerade hatte sie noch ein Paar Ziegenlederslipper dazugelegt und wollte alles ins Kinderzimmer hinübertragen, als ein heftiger Disput sie aufhorchen ließ. Laute Männerstimmen näherten sich rasch der Treppe. Schwere Stiefel polterten die Treppe hinauf. Als sie ihnen überraschend in den Weg trat, stoppten sie. John und Parnko wirkten ziemlich nass und erbost. Zwischen ihnen, schwer auf sie gestützt, hinkte Ian, erschreckend blass im Gesicht und mit ebenfalls tropfend nassen Haaren und Kleidern. Dahinter folgte Percy mit gesenktem Blick und hängenden Schultern– das personifizierte Schuldbewusstsein.
» Was ist passiert?«
»
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