Die roten Blüten der Sehnsucht
sehr bald– mit einem großen Fund zu rechnen.
Über Weihnachten kamen also nur Mutter Schumann und Lischen zu Besuch nach Eden House. Ihre jüngere Schwester war mit neunzehn Jahren inzwischen im heiratsfähigen Alter. Ein hübsches, etwas dralles Mädchen, das auf Ians Bemerkung: » Stehen die Verehrer nicht inzwischen Schlange in der Angas Street, Lizzy?« übermütig zurückgab: » Sie stehen sogar bis zur West Terrace, Schwager!«
» Und keiner, der endgültig Gnade vor deinen Augen findet?«, neckte Ian sie. » Komm, gib es zu: Du genießt es, die armen Kerle zappeln zu lassen.«
» Warum auch nicht?« Lischen grinste undamenhaft. » So viel Konfekt und kostspielige Buketts bekommen Ehefrauen nicht. Stimmt’s, Doro?– Heather, Robbie, ich freue mich riesig, euch zu sehen!« Sie stürzte auf Heather zu und umarmte sie stürmisch. » Was macht deine Pferdezucht?– Na, Robbie, und du? Hast du wieder fleißig tote Eidechsen gesammelt?« Seinen schuldbewussten Blick in Richtung seiner Mutter interpretierte sie richtig und lachte nur. » Lass dich nicht beirren, Robbie! Vielleicht wirst du auch einmal so ein berühmter Naturforscher wie Herr von Humboldt. Dann bekommst du sogar Vitrinen für deine toten Tiere und speist mit dem Kaiser!«
» Oder in London bei Queen Victoria«, warf Heather etwas spitz ein. » Robert ist schließlich Engländer. Was soll er da in Berlin?«
» Oder in London«, sagte Lischen, nicht im Mindesten aus der Ruhe gebracht. » Was gibt es zum Dinner?«
Weihnachten war für Dorothea immer noch eine schwierige Zeit. Auch wenn inzwischen acht Jahre vergangen waren, wurden die Entführung und das anschließende Drama um diese Jahreszeit bei ihr stets wieder präsent. Sie vermied Ausritte, und ihr Schlaf wurde so leicht, dass jedes nächtliche Vogelkrächzen sie aufschrecken ließ. Normalerweise begrüßte sie daher die Ablenkung, die der Besuch ihrer Familie in den Alltag auf Eden House brachte. Diesmal jedoch brachte er ihr nicht die erhoffte Erleichterung. Im Gegenteil– Lischens ansteckende Fröhlichkeit ging ihr dermaßen auf die Nerven, dass sie sich sehr zusammennehmen musste, ihre Schwester nicht anzufahren.
Als die kleine Mary beim Nachmittagstee aus Unachtsamkeit den mit Veilchen bemalten Porzellanbecher, das Weihnachtsgeschenk ihrer Großmutter, umstieß und die Schokolade, die Mrs. Perkins extra für sie gekocht hatte, sich über das Tischtuch und Dorotheas neues Festtagskleid ergoss, war es um den letzten Rest ihrer Beherrschung geschehen. » Kannst du nicht aufpassen?«, fauchte sie, ohne sich um die erschrockenen Gesichter der anderen zu kümmern. » Wie kann man nur so ungeschickt sein! Wenn du zu blöde bist, Schokolade zu trinken, bekommst du eben wieder Wasser.« Sie packte das verschreckte Kind an der Hand und zerrte es hinter sich her zum Kinderzimmer, wo Trixie gerade damit beschäftigt war, Charles zu wickeln. Erstaunt drehte sie sich zur Tür, als eine aufs Äußerste erboste Dorothea mit einer laut heulenden Mary im Schlepptau hineinstürmte.
» Sie hat ihre Schokolade verschüttet«, erklärte Dorothea kurz angebunden. » Zur Strafe gibt es kein Abendessen, und sie geht sofort zu Bett.– Ich hoffe nur, ich bekomme die Flecken je wieder heraus!« Immer noch wütend musterte sie die hässliche Moorlandschaft auf dem zarten Schilfgrün ihres Taftrocks.
» Wenn Sie es mir gleich geben, kann ich versuchen, sie mit Mrs. Perkins’ Spezialseife herauszuwaschen«, bot Trixie an. » Sie schwört, dass sie damit noch alles sauber bekommen hat.« Mary war zum Kindermädchen gelaufen und stand eng an Trixie geschmiegt, ihr Gesicht in den Röcken der jungen Frau vergraben, als wolle sie sich verstecken. Unauffällig strich Trixie ihr über den Hinterkopf.
Dorotheas Zorn verrauchte so rasch, wie er aufgeflammt war. Statt seiner machte sich ein Gefühl der Beschämung in ihr breit. Was war nur los mit ihr? » Mary, ich…« Aber kaum hatte sie einen Schritt in Richtung der beiden gemacht, als die Kleine aufwimmerte und sich noch tiefer in Trixies Röcke drückte.
» Lassen Sie’s gut sein, Ma’am«, sagte das Kindermädchen leise. » Mary ist ein gutes Mädchen. Es tut ihr sicher furchtbar leid, was sie angerichtet hat. Ich komme dann gleich nach und helfe Ihnen beim Umziehen.«
Dorothea nickte und ging über den Flur hinüber in ihr Zimmer. Vor dem Kleiderschrank glitt ihr Blick unschlüssig über die Garderoben. Die meisten von ihnen waren Kreationen ihrer Mutter,
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