Die roten Blüten der Sehnsucht
mit der Besonderheit, dass ihre Häkchen und anderweitigen Verschlüsse so angebracht waren, dass sie sie zur Not auch ohne Hilfe an- und ausziehen konnte. Allerdings war es zumindest abends selten nötig, da Ian nur zu gerne bereit war, als Kammerzofe zu fungieren. In letzter Zeit hatte sie allerdings meist schon im Bett gelegen und sich schlafend gestellt, wenn er auf Zehenspitzen ins Zimmer schlich. Früher hatte er sie dann manchmal mit verführerischen Küssen geweckt. Früher– das schien so ewig lange her zu sein; dabei war es doch erst ein paar Wochen her, dass sich dieser verfluchte Verdacht in ihren Kopf gestohlen und dort festgesetzt hatte. Gedankenverloren starrte sie auf die Kleidungsstücke.
Trixie klopfte kurz an die Tür und öffnete sie nahezu gleichzeitig. Hastig griff Dorothea nach einem seegrünen Kleid aus Baumwollmusselin. Es war nicht gerade Dernier Cri, aber es war bequem und leicht. » Ich werde den Rest des Tages dieses hier tragen«, sagte sie so bedeutsam, als hätte sie die ganze Zeit über die richtige Wahl nachgedacht.
Mit äußerster Vorsicht zogen die beiden Frauen das Kleid über Dorotheas Kopf, um zu verhindern, dass die feuchten Kakaoflecken auch noch andere Bereiche in Mitleidenschaft zogen. Die zwei obersten Unterröcke musste sie ebenfalls wechseln. » Danke, jetzt komme ich alleine zurecht.«
Dorothea trödelte beim Umziehen, so gut es ging, aber dann ließ es sich nicht mehr hinausschieben: Sie musste hinuntergehen und sich den vorwurfsvollen Blicken stellen, die sie sicher erwarteten. Zu ihrer immensen Erleichterung saß nur noch ihre Mutter im Salon.
» Lischen und Heather kümmern sich um das Tischtuch«, sagte sie ruhig. » Und Lady Chatwick erinnerte sich, dass sie noch einen Brief zu schreiben hatte. Wir können uns also in aller Ruhe unterhalten, mein Kind. Komm, setz dich.« Auffordernd klopfte sie neben sich auf den freien Platz des Sofas.
Das klang nach einem unangenehmen Gespräch! Es war lange her, dass ihre Mutter sie so ernst angeschaut hatte. Dorothea gehorchte, vermied es jedoch, ihrer Mutter ins Gesicht zu sehen. Es war lächerlich. Absolut lächerlich. Aber sie fühlte sich so schuldbewusst wie früher, wenn sie etwas Dummes angestellt hatte und ihre Mutter ihr ins Gewissen redete.
» Es tut mir leid, Mama.« Dorothea nahm sich ein Herz und sah auf. » Ich wollte Mary nicht so anfahren. Es ist mir irgendwie herausgerutscht.«
Mutter Schumann machte eine wegwerfende Handbewegung: » Wenn es nicht häufiger geschieht, wird Mariechen es bald vergessen haben. Nein, was mir Sorgen macht, bist du. Du warst als Kind immer etwas unbeherrscht, aber ich hatte den Eindruck, dass sich das in den letzten Jahren gegeben hätte. Seit deiner Eheschließung mit Ian wirktest du sehr viel ausgeglichener. Bis auf die Zeit nach…« Sie brach ab und warf ihrer Tochter einen scharfen Blick zu. » Hat es etwas mit deinem Mann zu tun? Bist du deshalb so unleidlich?«
» Mama, jetzt übertreibst du aber!«, widersprach Dorothea ihr vehement, konnte jedoch nicht verhindern, dass ihr eine verräterische Röte in die Wangen stieg. » Erstens hat Ian überhaupt nichts damit zu tun und zweitens– bin ich wirklich unleidlich?«
» Das bist du«, stellte ihre Mutter ungerührt fest. » Bitte, halte mich nicht für senil, mein Kind. Übrigens gilt das gleichfalls für Lady Chatwick. Ich hatte gestern einen netten Plausch mit ihr, und auch sie ist äußerst besorgt über deinen nervlichen Zustand. Sie macht sich schwere Vorwürfe«, fügte Mutter Schumann mit deutlicher Kritik in der Stimme hinzu, » ihre leichtfertigen Äußerungen nicht für sich behalten zu haben. Und da gebe ich ihr recht!«
» Früher oder später wäre ich auf den gleichen Gedanken gekommen«, nahm Dorothea die alte Dame in Schutz. » Oder was würdest du vermuten, wenn die Eingeborenen ein Mischlingskind vor dir zu verstecken versuchen?« Inzwischen zweifelte sie kaum noch daran, dass es sich genau so zugetragen hatte. Auch wenn Parnko immer noch keine Spur entdeckt hatte– oder nicht hatte entdecken wollen– und sie sogar selber ein paar Mal unter dem Vorwand, die Frauen für einen ethnografischen Artikel befragen zu wollen, im Lager gewesen war und kein hellhäutiges Kind zu Gesicht bekommen hatte, war sie von seiner Existenz felsenfest überzeugt.
» Nun, es gäbe da noch einige andere Erklärungen, falls du sie auch nur in Erwägung ziehen würdest. Wieso bist du so sicher, dass es Ians Kind ist?
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