Die Rückkehr der Königin - Roman
durch das dunkle Tor in einen Wachraum, wo ein helles Feuer in einem vom Rauch geschwärzten Kamin loderte. Dort lagerten zwei weitere Männer, die aber sofort aufsprangen, als Senena hereinkam. Ihre Eskorte befahl ihnen barsch, sofort in die unteren Geschosse zu gehen und die Gefangene zu holen.
Sie bekamen unerwartet Ärger, als der Wärter, den Sif abgestellt hatte, um Anghara zu bewachen, sich weigerte, sie ohne ausdrücklichen Befehl Sifs zu übergeben. Als der Soldat, den sie hinuntergeschickt hatten, keuchend mit der Meldung über die Weigerung zurückkam, nahm Senena ruhig den Ring ab, in dem das Wappen Roisinans mit Juwelen eingearbeitet war und den Sif ihr zur Hochzeit geschenkt hatte.
»Gib ihm das als Zeichen«, sagte sie. »Und frag ihn, ob er lieber den Zorn seines Herrn in Kauf nimmt, wenn dieser erfährt, dass ich persönlich in den Kerker hinuntersteigen musste.«
Es war zwar nicht Sifs eigener Ring, aber selbst der Wärter musste sich der Tatsache geschlagen geben, dass es ein königlicher Ring war. Nicht ohne Murren suchte er den Schlüssel aus dem Schlüsselring an seinem Gürtel.
Anghara hatte längst die Hoffnung aufgegeben, dass sich ihre Zellentür jemals öffnete – offenbar hatte man sie selbst ebenfalls durch die Falltür im Boden hereingeschafft, durch die Essen, Wasser und ab und zu frisches Stroh geschoben wurde. Sie kauerte zusammengesunken auf dem Strohhaufen und blickte wie hypnotisiert auf den Lichtstrahl, der beim Öffnen der Tür immer breiter wurde.
»Komm«, sagte der Wärter mürrisch. »Man will dich sprechen.«
Noch ein erstes Mal. Seit Monaten hatte niemand direkt mit ihr gesprochen. Sie saß wie erstarrt da. Als sie keinerlei Anstalten traf, sich zu bewegen, packte er sie und stellte sie auf die Beine.
Es war ein weiter Weg bis nach oben. Steile Treppen. Und Anghara war seit Langem nicht mehr als fünf Schritte gegangen. Senena hatte mit vielem gerechnet, nicht aber mit diesem bleichen Gespenst eines Mädchens mit riesigen Augen, in einem schmutzigen Kleid, das sein früheres Aussehen nur erahnen ließ, das ihr nun im Wachraum gegenüberstand. Stofffetzen hingen an der abgemagerten Gefangenen – die zarten Knochen der schmalen Hände und Handgelenke waren durch die Haut beinahe sichtbar.
Die Augen der beiden Mädchen trafen sich und hielten den Blick.
»Senena ...«, flüsterte Anghara durch aufgesprungene Lippen. Sie schien sich gar nicht bewusst zu sein, dass sie sprach.
»Helft ihr auf diesen Stuhl«, befahl Senena. »Und dann lasst uns allein.« Irgendwie kam es ihr nicht eigenartig vor, dass dieses Mädchen, das sie noch nie zuvor im Leben gesehen hatte, sie auf den ersten Blick erkannte.
Die Soldaten gehorchten, und Senena kniete sich neben Angharas Stuhl, nahm die dünnen, kalten Hände in ihre und versuchte sie durch Reiben zu erwärmen. Ihre Augen waren riesengroß und erschrocken. »O ihr Götter ...«, murmelte sie und blickte in das ausgemergelte Gesicht unter dem verfilzten rotgoldenen Haar. »Sif, was hast du nur getan?«
3
Anghara wusste nicht, ob sie Senena verfluchen oder segnen sollte.
Ihr erstes Treffen war nicht besonders ergiebig verlaufen – nachdem Anghara Senenas Namen hervorgestoßen hatte, setzte anscheinend ihr Verstand aus, und sie konnte nichts mehr sagen. Stattdessen starrte sie einfach in das errötete Gesicht der jungen Königin. Senena blieb bei diesem ersten Besuch nicht lang, hinterließ aber eindeutige Befehle. Nachdem sie gegangen war, bereiteten die Soldaten ein lauwarmes Bad vor, das erste für Anghara, seit sie in Calabra das Schiff aus Kheldrin verlassen hatte, und frische Kleidung. Nichts Großartiges, aber alles war besser als die Fetzen, zu denen ihr Kleid in den langen Monaten der Gefangenschaft geworden war. Sie hatte gewaschene Haare und saubere Kleidung – selbst ihr Essen war in der Qualität um eine oder zwei Kerben gestiegen, und – am besten von allem – seit Senena Interesse an ihr bekundet hatte, war kaum noch tamman darin. Bei dem zweiten Zusammentreffen und den anschließenden begann Anghara sich zu erinnern, wie man mit einem anderen menschlichen Wesen Umgang pflegte. Anfangs waren es nur ein paar Worte, aber als Senena darauf bestand, fing Anghara langsam an, einen weiten und weglosen Ozean zu überqueren, zurück zu den Ufern, die sie einst kannte.
Das Gute daran war, dass sie langsam ihre eigene Menschlichkeit wieder spürte; ein Nachteil war natürlich, dass sie jedes Mal, wenn Senenas Besuch
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