Die Rückkehr der Königin - Roman
vorüber war, ihre Gefangenschaft umso bitterer empfand. Und sie wusste mit schmerzlicher Sicherheit, dass das alles aufhören würde – so oder so, sobald Sif nach Miranei zurückkam. Wenn Sif herausfand, was Senena in seiner Abwesenheit tat – und das würde er unweigerlich – lag es an ihm, sich an Senena ebenso grausam zu rächen wie an Anghara. Es war durchaus möglich, dass er die kleine Königin nur so lang am Leben ließ, bis sie Sifs Erben geboren hatte.
Nichts hatte Anghara auf die Tatsache vorbereitet, dass sie und das Mädchen, das das lebendige Siegel für Sifs Thron im Leibe trug, Freundinnen sein könnten. Senena war zu Anfang selbst verwirrt, was ihre eigenen Motive betraf – schließlich schloss sie Freundschaft mit einem Geist, den der König erfolgreich »beerdigt« hatte und dessen Auferstehung für ihren Gemahl nur ein Desaster bedeuten konnte. Aber sie schien die komplizierteren Fragen weit aus ihrem Kopf zu verbannen – vielleicht war ihr erster Impuls gewesen, sich selbst zu überzeugen und den Wahrheitsgehalt dieser wilden Geschichte zu prüfen, die sie auf der Galerie der fahrenden Musiker belauscht hatte; doch dann wurde daraus schnell eine Art Zuneigung. Sie traf sich fast täglich mit Anghara und wusste genau wie diese, dass ihre gemeinsame Zeit sich schnell dem Ende näherte.
Von Senena erfuhr Anghara, wie viel Zeit in der Welt da draußen verstrichen war. Als Senena feststellte, dass Anghara ihren Geburtstag ganz allein im Kerker verbracht hatte, entwickelte sie ein beinahe kindliches Vergnügen daran, ein verspätetes Geburtstagsfest auszurichten, welches sie in der Wachstube feierten. Anghara konnte nicht viel essen – ihre spartanische Ernährung und das tamman schienen ihren Appetit zu hemmen; aber sie gab sich alle Mühe, Senenas Feststimmung nicht durch schlechte Laune und Undankbarkeit zu ruinieren.
»Was hättest du gern als Geburtstagsgeschenk gehabt?«, fragte Senena und saß am Rand des Kamins wie ein Bengel von der Straße. Ihre Brokatgewänder hingen fast in die Asche.
Es hatte eine Zeit gegeben, in der Anghara eine Menge Dinge hätte aufzählen können, aber ihre Welt war auf den Kerker von Miranei geschrumpft, mit keiner anderen Aussicht als den Tod, der auf sie wartete – ein schneller Tod oder einer durch Verhungern, ganz nach Sifs Laune. Größter und brennendster Wunsch in ihrem Herzen war, wieder den Teil in ihr zu berühren, der ihre Kraft war – wieder das Zweite Gesicht zu spüren. Aber das lag jenseits von Senenas Macht. Anghara blickte nach oben, ihre Augen füllten sich unerwartet mit Tränen, aber sie sah nur mehr mitleidlose Steine. Und dabei kapitulierte selbst das Zweite Gesicht unter dem Gewicht dieses Mauerwerks.
»Den Himmel sehen«, flüsterte Anghara. »Und wieder den Wind auf meinem Gesicht spüren. Es ist so lang her, dass ich im Sonnenschein gegangen bin ...«
»Das ist eine sehr bescheidene Bitte«, sagte Senena langsam.
Anghara blickte zu Boden, der Anflug eines Lächelns huschte um ihre Lippen. »Nein, nicht einmal du, Senena, könntest das erreichen. Sie haben über all das hier ein Auge zugedrückt, aber nur, weil ich nicht durch diese Türen gegangen bin ... oder je werde. Wenn jemand mich dort oben sieht, wird er das nicht für sich behalten ... und dann wartet dort oben der sichere Tod auf mich.«
»Nicht mehr als hier unten«, erklärte Senena stur und biss sich sofort auf die Lippe, als ihr klar wurde, was sie soeben gesagt hatte. Um Entschuldigung bittend legte sie die Hand auf Angharas Arm. »Es tut mir leid ... gerade heute hätte ich das nicht sagen dürfen ... Aber es muss einen Weg geben – du bittest ja nicht um einen Bergführer. Es kann doch niemanden verletzen, wenn ich dich ein paar Minuten auf die Festungsmauer geleite.«
Angharas Augen blieben traurig. »Mach mir keine Hoffnungen, Senena. Ich habe gelernt, auf nichts mehr zu hoffen, das ist weniger schmerzlich.«
Das zu sagen, schien völlig falsch gewesen zu sein. Senenas Augen glitzerten, wild entschlossen hob sie das Kinn. »Ich werde dafür sorgen, dass es geschieht«, schwor sie.
So wie Senena früher dagesessen hatte und ein Gespräch belauscht hatte, von dem der König und sein Kanzler glaubten, es unter vier Augen zu führen, wurde jetzt das Gespräch in der Wachstube von einem Paar Ohren mitgehört, für die es nicht bestimmt war. Schon als Anghara zurück in ihre Zelle geführt wurde und Senena den Wachraum verließ, um so schnell als möglich
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