Die Rückkehr der Königin - Roman
eindringlichen Stimme – al’Tamar. Er war so geistesgegenwärtig, sich nicht umzudrehen. Er blieb ganz still stehen und erwiderte den Blick der Priesterin, ohne mit der Wimper zu zucken. Nur seine Lippen bewegten sich. Der Schock war in seiner Stimme zu hören.
»Was machst du hier?«
»Ich bin sofort gekommen, als ich erfahren habe, wer die Karawane anführt«, antwortete al’Tamar aus dem Schatten der lais-Büsche hinter den Palmen. »Kieran ...«
»Ich werde mich nicht einfach hinlegen und sterben«, flüsterte Kieran wild entschlossen. »So leicht mache ich es ihnen nicht! Kerun und Avanna! Ich bin kein ki’thar-Lamm, das man der Blutgier der Götter Kheldrins zum Fraß vorwerfen kann.«
Ein abwegiger Gedanke tauchte auf und quälte ihn – er erinnerte sich, wie er vor noch nicht allzu langer Zeit geschworen hatte, sein Leben Anghara, seiner Königin, zu opfern, die er liebte. War das nicht in der Tat, was ai’Daileh von ihm verlangen würde?
Nein! So nicht! Kämpfen für sie, ja, gerne, mit all seiner Kraft, seinem gesamten Sein, damit sie wieder gesund wurde. Aber nicht so! Nicht dieses nutzlose Verschwenden eines Lebens, das noch nicht vollendet war, ein sinnloses Blutvergießen in einer leeren Wildnis. Es gab viel zu tun ...
Und dennoch ... wenn er sicher sein könnte, dass er ihr Leben für Roisinan zurückkaufen könnte ...
Nein!
All das hatte nur einen Sekundenbruchteil gedauert, sämtliche Argumente, Gegenargumente, Rechtfertigungen und Ablehnungen waren ihm durch den Kopf geschwirrt, hatten ihren Platz gefunden und sein Entschluss stand fest. Nein!
Doch auch ai’Daileh brauchte nur einen Sekundenbruchteil. Als Kieran wieder zum Altar blickte, sah er, wie sich zwei der grauen Schwestern ihm entschlossen näherten, gefolgt von zwei Dienerinnen, die die Karawane begleitet hatten. Er richtete sich auf und lockerte seine Klinge.
Soll ich gegen Frauen kämpfen? , dachte er angewidert.
»Ich kämpfe an deiner Seite«, flüsterte al’Tamar verzweifelt.
»Nein«, widersprach Kieran. »Wirf heute Nacht hier nicht dein Leben weg. Was ist mit deiner Rami?«
Mehr konnte er nicht sagen, denn schon waren sie vor ihm. Eine der beiden Frauen trug ziemlich behutsam einen großen Tonkrug, die andere ein dünnes nachtfarbenes Netz. Die Dienerinnen kamen mit bloßen Händen, wirkten deshalb jedoch irgendwie bedrohlicher.
»Hüte dich vor dem Krug!«, zischte die körperlose Stimme hinter Kieran. Dann war es für alles weitere zu spät. Er musste um sein Leben kämpfen. Die mit dem Krug öffnete diesen und schleuderte den Inhalt in Kierans Richtung, gerade als al’Tamar ihn warnte. Zwei große gelbe Skorpione flogen ihm entgegen, beide beinahe so lang wie Kierans Unterarm und keineswegs friedfertig gestimmt. Ihr Zorn war gefährlich. Sie waren bereit, das erste Wesen, das sich ihnen in den Weg stellte, zu stechen.
Kieran wich aus. Ein Skorpion landete sanft neben seinem Fuß. Blitzschnell richtete er sich auf, stemmte alle seine Beine in den Sand und hielt kurz inne. Der giftige Schwanz war emporgerichtet, schwenkte langsam über den Rücken und suchte sein Ziel. Die graue sen’thar mit dem Netz näherte sich ihm mit einer Dienerin von der Seite. Er drehte sich zu ihr. Doch die Reibung seines Fußes auf dem Sand reichte, und der Skorpion stürzte in seine Richtung.
Kieran hielt den Dolch in der Hand und beobachtete den Mörder, der ihn töten wollte. Sobald sich der Skorpion bewegte, tat er es ebenso, sprang beiseite und stieß den Dolch von oben direkt vor seinen Füßen durch den breiten gelben Rücken des Skorpions in den Sand. Dann riss er die Klinge blitzschnell zurück, um dem Schwanz mit dem tödlichen Stachel zu entgehen, der hektisch im Todeskampf hin- und herschlug.
Da spürte er, wie sich gleich einem Flüstern in der Nacht das Netz über ihn senkte, gerade als er in Panik nach dem zweiten Skorpion Ausschau hielt.
Das Netz war dünn, aber übermenschlich stark, aus einem Material gefertigt, das verdächtig wie jin’aaz-Seide aussah. Wenn ja, dann war das Zeug wie ein Spinnennetz, das wieder seine ursprüngliche Funktion ausübte – Beute zu fangen. Kierans Hände verfingen sich im Netz. Es legte sich um ihn und schnitt ihm unerwartet scharf in die Haut, während er sich drehte und wand, um es abzuschütteln. Doch schien es eine Waffe zu sein, um jemanden gefangen zu nehmen, nicht um ihn gefangen zu halten. Nachdem es seinen Zweck erfüllt hatte und eine der Dienerinnen Kierans Arme
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