Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rückkehr der Königin - Roman

Die Rückkehr der Königin - Roman

Titel: Die Rückkehr der Königin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
Vom Netzwerk:
begreifen?«, fragte sie. »Du bist ein Nichts, bis du das Opfer bist.«
    »Ich bin, was in ihr war«, sagte er. Plötzlich war er völlig überzeugt von ai’Jihaars Deutung – die sie ai’Daileh nicht mitgeteilt hatte, weil dazu keine Zeit geblieben war.
    Doch jetzt, im Augenblick der Wahrheit, erinnerte er sich an den Moment, in dem es geschehen war.
    Es war im Morgengrauen auf dem Wehrgang in Miranei gewesen, als Kieran Sifs Kanzler Fodrun, Dynans einstigem Zweiten General, gegenüberstand, den viele jetzt geflüstert Königsmacher nannten. Fodrun war Angharas Kerkermeister gewesen, hatte sie gefangen gehalten und als Schild gegen das bloße Schwert seines Feindes benutzt. Jetzt erinnerte sich Kieran an die Szene mit übernatürlicher Klarheit. Schmerzen hatten Angharas Gesicht verzerrt, als sie versuchte, das Zweite Gesicht anzurufen, Schmerzen, die seine eigene Seele tief trafen. Er hatte sein Schwert erhoben und auf Fodrun niedersausen lassen. Es hatte die Verteidigung des älteren Mannes durchbrochen, als sei dieser ein grüner Junge und kein Meister der Klinge. Ein Schlag reiner Kraft, kein Ergebnis von langer Übung oder Heldenmut – diese Kraft war nicht die seine gewesen. Sie war von außen in ihn hineingeflossen, aus dem Ort, den Anghara in ihrer Blindheit hatte anzapfen wollen, doch vergeblich. Aber aufgrund seiner Liebe zu ihr war es ihm gelungen. So war es gewesen.
    Er erinnerte sich, wie er später wieder zu sich kam und benommen Fodruns Leichnam betrachtete, als sei er nicht sicher, wer den Mann zu seinen Füßen getötet hatte. Er erinnerte sich, dass das die Stunde gewesen war, in der Anghara endlich zugegeben hatte, dass sie blind war; aber keiner von ihnen hatte erkannt, dass sie ein anderes Augenpaar gefunden hatte, durch welches sie sehen konnte.
    Wieder blickte er auf sie, auf die junge Frau, die er liebte und die jetzt überhaupt nicht mehr so aussah wie die Gefangene auf dem Wehrgang von Miranei.
    In Roisinan war es der Abend vor Mittsommer, wahrscheinlich waren die Feierlichkeiten für den Cerdiad in vollem Gange. An einem anderen Abend, vor vielen Jahren, hatte ein kleines Mädchen den Zauber gebrochen, der ihre eigene Existenz behütete, weil eine glänzende Klinge über dem gezückt worden war, den sie liebte. Dieses kleine Mädchen füllte Kierans Augen – und sein Herz.
    »Anghara«, sagte er wieder, löste jedoch keine Reaktion aus. Er war verzweifelt, weil ihn so viele Hände auf den Altarstein drückten und er den Schatten des schwarzen Dolches über sich sah. Diese Klinge würde er nicht abwehren können, wie damals die des Ansen von Cascin. Da legte er sein Herz in einen letzten Schrei. Ein Name, längst vergessen. »Brynna. Brynna! «
    Die Wirkung war völlig überraschend, noch mehr als Kieran sich erhofft hatte. Ein Zischen ertönte von seinen Häscherinnen; die Hände ließen ihn los; die sen’thari wichen zurück. Die Trommeln verstummten schlagartig. In dieser Stille hörte man nur Flüstern, von Mund zu Mund, einem Gebete gleich – ai’Bre’hinna, ai’Bre’hinna . Die von den Göttern verdichtete Luft in der Oase zersprang glockengleich. Die Luft wurde kalt und scharf, Kieran spürte darin Schmerz und Trauer. Anghara hatte ruckartig den Kopf zu ihm gedreht und starrte ihn an – ein langer, völlig klarer Moment – dann hob sie die Hände zu den plötzlich blutleeren Wangen und stieß hervor: »Ich erinnere mich!« Dann wurden ihre Knie weich. Einen Wimpernschlag lang glaubte Kieran in der hellen Luft über ihr jemanden zu sehen – etwas – eine Art Nachbild: ein Geschöpf aus goldenem Licht, das seine riesigen weißen Schwingen ausbreitete und Angharas Gesicht hatte.
    Eine unsichtbare Hand – wahrscheinlich al’Tamars, denn der Rest schien gelähmt zu sein von dem Namen eines Mädchens, das in Wirklichkeit nie gelebt hatte, der nur als Maske für eine junge Königin in Gefahr gedient hatte – zerschnitt Kierans Fesseln. Kurz streifte sein Blick die Schwestern rings um ihn, die mit offenen Mündern dastanden. Er hatte keine Ahnung, was soeben geschehen war, wusste jedoch, dass er dadurch eine Chance bekommen hatte, die sich nicht wiederholen würde. Es mochte vielleicht Anghara ihre unsterbliche Seele kosten, aber mit ai’Daileh und ihren hinterlistigen Schwüren war sie in weitaus größerer Gefahr. Ohne Zögern oder einen Moment der Selbstvorwürfe (ohne seine Hilfsdienste hätte ai’Jihaar die Kälte dieser Nacht vielleicht länger ertragen) hob Kieran

Weitere Kostenlose Bücher