Die Rückkehr der Königin - Roman
betrachte dich schon eine ganze Zeit lang. Mein armer Kieran, was habe ich dir zugemutet ...«
»Ich kann nicht sagen, dass es leicht war«, gestand er mit einem Zucken um die Mundwinkel; jetzt im Nachhinein erschienen einige ihrer Strapazen leichter durch fröhliche Momente. Nur so ließen sich die Erinnerungen ertragen. »Und es wird gleich noch härter. Ich muss zurück, Anghara – und irgendwas holen. Als ich aus der Oase geflohen bin, hatte ich nur dich. Sie haben mir mein Schwert abgenommen. Selbst das ist immer noch in der hai’r. Wir brauchen Wasserschläuche; wir brauchen unbedingt Wasser. Ich weiß nicht, ob man nach uns sucht, aber wenn ja, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie uns finden ...«
»Und du bist von der Opferzeremonie geflohen, ein geweihtes Opfer – ai’Daileh wird das nie durchgehen lassen.«
»Ich muss zurück«, wiederholte er. »Aber du ... ich lasse dich nicht gern hier zurück ...«
»Geh, tu, was du tun musst. Ich werde warten.«
Erst bei Einbruch der Dämmerung konnte Kieran losreiten. Diese Nacht würde hell sein, da die Mondsichel zwischen den Sternen stand. Anghara wusste, dass die klare Wüstenluft das Mondlicht verstärkte. Das würde Kierans Aufgabe erleichtern, aber gleichzeitig erschweren – es wäre einfacher, die hai’r in dem weiten Gelände ohne vertraute Orientierungspunkte zu finden, aber auch einfacher, ihn zu sehen, falls jemand Ausschau hielt. Anghara machte sich große Sorgen. Im Besitz ihre vollen Fähigkeiten hätte sie ihre Gefühle leicht vor Kieran verbergen können, aber jetzt gelang ihr das nicht. Kierans ständige quälende Kopfschmerzen waren das Produkt jener Kraft, die aus ihr zu ihm floss, die er jedoch nicht anzuzapfen verstand.
Als er aufbrach, fühlte sich Anghara kräftig genug, um ihn ein Stück zu begleiten. Im milden Mondlicht, in dem noch ein Rest des Tages in der Luft lag, sah sie wie ein Gespenst aus, immer noch blass. Kieran war nahe dran, nicht zu gehen. Er hegte große Zweifel, ob sie hier auf ihn warten würde, wenn er zurückkehrte. Aber er wusste, dass er keine Wahl hatte, überhaupt keine – außer hierbleiben und mit ihr sterben.
»Ich lasse dir den Dolch hier ...«
»Nimm du ihn«, sagte sie und schloss seine Finger um die Waffe, die er ihr entgegenhielt. »Wenn jemand mich findet – ich hätte nicht die Kraft, ihn zu benutzen. Und ich fühle mich besser, wenn ich weiß, dass du ihn hast. Du brauchst ihn vielleicht dringender als ich. Ich ... bin in den Händen der Götter.«
»Ich bin mir nicht sicher ...«, begann Kieran nach kurzem Nachdenken und runzelte die Stirn.
Sie verstand seinen unvollendeten Satz sofort. Ihre Finger waren verblüffend kräftig für eine so durchsichtige Gestalt, als sie seine Hand umschlossen. »Was?«, fragte sie. »Ich habe es letzte Nacht auch gespürt, also ... ich glaube ... du hast mich letzte Nacht Brynna genannt ...«
»Ja ... und die sen’en’thari schienen mehr über diesen Namen zu wissen, als ich dachte. Daher die Gelegenheit zur Flucht. Aber du – du hast mich angesehen, als ich den Namen rief, als würdest du dich an etwas erinnern ... woran hast du dich erinnert, Anghara?«
»An alles«, sagte sie. Tränen stiegen ihr in die Augen. »Der Name ... al’Khur hat ihn mir vor langer Zeit gegeben.«
»Wie konnte er das? Das war dein Name in Cascin, lange, ehe du erfahren hast, welche Götter in diesen Wüsten wandeln ...«
»Aber er hat! Meine Mutter hat meine Tarnung für Cascin ausgesucht; ich weiß nicht, wieso ihre Wahl auf diesen Namen fiel, aber ich glaube, es war ihr Zweites Gesicht, ihre Gabe der Prophezeiung und der Macht. Ich weiß aber, dass al’Khur die Bedeutung dieses Namens kannte, als sich unsere Wege in der Khar’i’id kreuzten. Dann belegte er mich mit einem Zauber, dass ich alles vergessen sollte, bis die Zeit käme, mich daran zu erinnern. Und in der vergangenen Nacht ... da erinnerte ich mich an alles, was geschehen ist, wie ich al’Khur begegnet bin und um ai’Jihaars Leben ringen musste. Weißt du, was er mich damals genannt hat, Kieran? Kleine Schwester . Der Herr des Todes nannte mich seine kleine Schwester.«
»Er nannte dich Brynna?«, fragte Kieran verblüfft über dieses neue Stück im Puzzle.
»Nicht ganz«, antwortete Anghara. »Es war ein weitaus älterer Name.«
»Welcher Name?«
»Wandlerin«, sagte Anghara. »Das ist es, was bre’hin bedeutet. Wandlung. Und am Ende eines jeden Zeitalters kommt der Wandler der Tage nach
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