Die Rückkehr der Königin - Roman
abgebrochenen Rituals gepackt hatte, zitterte, quälte ihn das Gefühl der Niederlage, er schmeckte die bittere Pille völliger Hilflosigkeit. Die Wahl lag ganz bei Anghara, das hatte ai’Jihaar behauptet, oder bei den Göttern, an welche die Bitte gerichtet worden war; aber letztendlich war es ai’Daileh gewesen, die die Wahl getroffen hatte, nicht Anghara. Und für jemanden, der früher gespürt hatte, wie die Götter im Wind hinter seinem Rücken ritten, schien die Wüste Kheldrins jetzt unheilvoll leer. Kieran hatte das Gefühl, als seien sämtliche Götter Kheldrins in der vergangenen Nacht ausgemerzt worden, als hätte es sie nie gegeben; während der Zeremonie hatte es einen Moment gegeben, in dem er ganz sicher war, ein kühles und übernatürliches Lebwohl zu spüren. Es ging ihm nicht aus dem Kopf. Aber das war wohl eher eine Frage für Gelehrte und Wüstenphilosophen in zukünftigen Jahren. Jetzt waren einzig und allein Anghara und Überleben wichtig.
Ihre Hände waren eiskalt, als er sie in seine nahm, um etwas Leben hineinzureiben. Die Nägel waren vor Kälte blau. Am erschreckensten war, als Kieran die dichte, beinahe fassbare Hitze durch den Spalt in die Höhle kriechen fühlte. Anghara murmelte ständig etwas dahin, abwechselnd in ihrer Muttersprache und Kheldrinisch – Kieran vermochte keinen Sinn zu erkennen. Er hörte: »Kein Blut! Nicht hier oben! Niemals!« Aber er war nie in Gul Khaima gewesen und wusste nichts von Angharas Anweisung. Später murmelte sie: »Ich erinnere mich ... ich erinnere mich an alles ...« Dann begann sie ein langes, immer wieder von Pausen unterbrochenes Gespräch auf Kheldrinisch, in dem Kieran lediglich ai’Jihaars Namen verstand.
Ein Wort blieb konstant: »Kalt«, stöhnte sie immer wieder nach langen Pausen oder all den anderen Worten, die sie sagte. »So kalt!« Aber sie hatten nur die bunte gewebte Pferdedecke. Als nicht einmal zu helfen schien, dass Kieran sie wie in einen Kokon hineinwickelte, legte er sich neben ihr nieder und schloss sie in seine Arme, um seine Körperwärme mit ihr zu teilen.
Und weil er Kieran war und sie Anghara und es seit jenem Tag in den Bergen, als er aus tiefster Seele begriffen hatte, dass er sie liebte, das erste Mal war, dass er sie in den Armen hielt, umarmte er sie behutsam. Er strich ihr das helle Haar aus dem geröteten Gesicht und murmelte Worte der Liebe und der Ermutigung. »Alles wird gut«, flüsterte er und zwang sich, daran zu glauben, und nicht an die möglichen Verfolger zu denken, die sie jagten, indem sie den Pferdespuren im Sand folgten, die sie direkt zu diesem Unterschlupf führen würden. »Alles wird gut.« Es schien zu funktionieren; denn sie wurde ruhiger. Zuerst döste sie nur, dann verfiel sie in tiefen Schlaf. Kieran lag ganz still da und wunderte sich, dass sie nicht aufwachte, weil ihre zarte Hand direkt über seinem hämmernden Herzen lag.
Er fand keine Ruhe und betrachtete sie im Schlaf in seinen Armen; sein Kopf schmerzte immer noch grauenvoll, und ein Tag ohne Wasser hatte auch nicht gerade geholfen. Aber nun war mehr als genug Zeit nachzudenken. Eines der Rätsel, das er nicht lösen konnte, war, wie er sich zweiteilen könnte, wenn es Nacht wurde. Er wusste, dass er zur hai’r zurückreiten musste, aber das zwang ihn, Anghara allein zu lassen. Sie mitzunehmen war undenkbar, aber wenn er nicht ging, um zumindest das Allernötigste für ihr Überleben zu holen und vielleicht auch ai’Jihaar oder al’Tamar um Hilfe zu bitten, dann wäre das ihr sicherer Tod.
Bald wurde sein Arm taub, auf dem Angharas Gewicht ruhte, aber er bewegte sich um nichts auf der Welt, um sie nicht zu wecken. Schließlich döste auch er ein. Als er mehrere Stunden später zu sich kam, drang goldenes Licht durch den Spalt herein und näherte sich dem Farbspiel der untergehenden Sonne in der Wüste. Er hatte Hunger, und sein Mund war pelzig vor Durst. Das dun schien das gleiche Problem zu haben. Das Tier hatte ihn geweckt, indem es ihn mit dem langen aristokratischen Maul anstieß. Es sah gleichzeitig herrisch verlangend und mitleiderregend aus. Als Kieran auf Anghara hinabschaute, sah er, dass sie wach war und ihn beobachtete.
»Geht es dir gut?«, fragte er besorgt und zog sie instinktiv näher an sich. Dann berührte er ihre wachsbleiche Wange.
»Ich glaube schon«, antwortete sie. Die Schwäche ihrer Stimme schnitt ihm ins Herz. Sie lächelte. »Ich habe es nicht über mich gebracht, dich zu wecken, aber ich
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