Die Rückkehr der Königin - Roman
Platz nahm. »Du bist noch nicht an der Reihe. Warte!«
Als das Feuer brannte, setzten sich alle im Kreis darum, ließen aber auch für al’Tamar einen Platz, sobald er seine Arbeit beendet hätte. Es war, als hätten sie alles viele Male geprobt. Ein süßes Räucherstäbchen wurde angezündet; Kierans Augen brannten plötzlich. Es erinnerte ihn an beißenden Geruch des Wüstensalbeis, ein Geruch mit besonderer Bedeutung für ihn. Diesem Kraut gelang es stets, Erinnerungen wachzurufen, scharf wie ein Dolch und leuchtend wie eine Flamme. Er hätte gern Fragen gestellt, aber es lag bereits eine solche Spannung in der Luft, das Gefühl eines Rituals, zu gewaltig und zu bedeutungsschwer, als dass er es mit läppischen Fragen stören wollte.
Ai’Jihaars Stimme klang verändert, nicht wie ihre üblichen melodischen Worte, als sie sagte: »Ai’Bre’hinna, Wandlerin der Tage, welche wieder in Kheldrin dahinschreitet, geweckt von der Khar’i’id, gesegnet von al’Khur, wir kommen, dich um Hilfe anzuflehen. Gewähre uns die Gabe deiner Kraft.«
Angharas kleine kalte Hand lag in Kierans. Jetzt spürte er, wie ihre Haut warm wurde. Die flackernden Schatten der Höhle teilten sich, als hätte man vom Antlitz der Sonne einen Vorhang gezogen; und inmitten der Flammen war dieses Wesen, das Kieran zu sehen geglaubt hatte, als er den schicksalsschweren Namen in ai’Jihaars Oase gerufen hatte. Strahlend und golden, kaltes Feuer ergoss sich über große weiße Schwingen, schmerzlich vertraute graue Augen schauten ihn direkt an, mit Mitgefühl und Verständnis. Sämtlicher Worte beraubt vermochte Kieran die Erscheinung nur stumm anzustarren. Dabei war er sich vollständig bewusst, dass er irgendwie auf einer irdischen Ebene die Hand dieser geflügelten Göttin in seiner hielt.
Auch sie schwieg einige Herzschläge lang, ehe sie sprach. Die Stimme war hoch und schien aus weiter Ferne zu kommen. Es war Angharas, aber auch wieder nicht. Eine Stimme, die nur al’Khur bis zu diesem Moment gehört hatte – gehört und erkannt und ihr das Recht zugestanden hatte, ein Leben zurückzufordern, das er bereits genommen hatte.
»Zuerst muss ich die Macht zurückbekommen von dem Ort, wo sie sicher verwahrt wurde«, sagte die Göttin. »Gibt der Bewahrer sie zurück?«
Kieran fand seine Stimme wieder. »Mit Freuden.«
»Dieses Versprechen bedeutet vielleicht mehr, als du in der Stunde wissen kannst, in der du es gibst. Ich frage dich noch einmal: Gibst du die Macht auf?«
»Sie hat mir nie gehört, ich hatte nie einen Anspruch darauf«, antwortete Kieran. »Wenn ich etwas eine Zeit lang getragen habe, das für einen anderen eine zu schwere Bürde war, bin ich zufrieden. Bitte mich um alles, was du willst, denn es hat immer dir gehört.«
»So sei es«, sprach die Göttin und wiederholte seine Worte von vor langer Zeit.
Kieran war auf einer Seite mit al’Tamar verbunden, und Anghara mit ai’Jihaar. Die beiden Kheldrini vervollständigten den Kreis. Jetzt war der Kreis unterbrochen, ohne dass Kieran wusste, wie es geschehen war. Seine beiden Hände wurden von kleinen Fingern gehalten, als zwei riesige weiße Schwingen leise durch die Luft herabsanken, sich um ihn legten und die Schatten auf der Höhlenwand ausblendeten, auch die flackernden Flammen und al’Tamar zu seiner Linken. Dunkelheit senkte sich herab, eine Dunkelheit, die mit einer Million glitzernder goldener Punkte besetzt war, wie das weite Himmelszelt in der Wüste. Die Schönheit schmerzte und senkte sich auf ihn wie ein Umhang, blieb auf seinen Schultern, drang in ihn ein und durch ihn hindurch. Etwas, das in ihm gewesen war, drängte nach oben, nährte die goldenen Lichter und goss Helligkeit wie Lava in die Dunkelheit, vertrieb sie, bis alles in grellem goldenen Licht leuchtete und Kierans Augen selbst durch geschlossene Lider schmerzlich durchbohrte. Das Licht war wie ein Messer. Ja, es war ein Opfer, denn es kam wie ein Messer auf ihn herab, durchbohrte ihn, zerteilte ihn, riss ihn auf, und schnitt Kanäle mit diesem goldenen Glorienschein, dessen Kraft wie Wasser lief und sich in seinem Herzen zu großen tiefen Teichen sammelte. Und im Schutz der riesigen weißen Schwingen trank Anghara alles zurück, was ihr genommen worden war. Kieran spürte, wie die Last von ihm genommen wurde, als sei sie Lebensblut, das aus ihm herausfloss und versiegte. Es waren außergewöhnliche Schmerzen – eine weiße Agonie, aufgewogen von der Freude zu sehen, wie Angharas Augen
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