Die Rückkehr der Königin - Roman
das für einen Besuch beim König geeignet war. Jeder, der Kieran sah, hätte ihn für völlig entspannt gehalten. Die langen Beine hatte er ausgestreckt und die Lider waren halb geschlossen; doch unter diesen halb geschlossenen Lidern beobachtete er aufmerksam die Tür, durch welche Anghara hinausgegangen war. Ihm war nicht wohl, dass er sie hatte allein gehen lassen. Erst als sie wieder erschien, entspannte er die Schultern und lehnte sich gegen die Wand. Sie trug ihren dunklen Umhang.
»Alles in Ordnung?«, fragte er.
Sie warf ein Bündel auf den Sitz neben ihn und setzte sich. »Keine Probleme. Ist es schon Zeit?«
»Noch zu früh. Aber es ist fast Sonnenuntergang. Eine Zeit lang können wir noch bleiben. Dann sollten wir uns langsam auf den Weg zum Graben um den Palast machen.« Seine Augen flackerten. »Falls jemand dort ist, der auf uns wartet.«
»Es wird jemand da sein«, erklärte Anghara mit nachdenklicher, aber überzeugter Stimme. Vielleicht hatte ihr Glaube kurz gewankt, doch jetzt, kurz vor der Durchführung ihres Plans, war er zurück und brannte stärker denn je.
»Ich hoffe nur, dass wir nicht mehr bekommen, als wir erwarten.«
»Er ist Soldat wie du«, sagte Anghara. »Wenn er etwas zu tun beginnt, dann wird seine Ritterehre dafür sorgen, dass er es auch gemäß seinem gegebenem Wort durchführt. Würdest du das nicht auch tun?«
»Ich bin kein Prinz«, erwiderte Kieran.
Eine Krone hatte das alte Weib gesagt, und die Erinnerung brach seine Stimme und ließ seine Worte angespannt klingen. Hilflos schaute er Anghara an, gefangen in der Honigfalle seiner Liebe zu einer Frau, die Königin werden würde. Das wollte ich nie. Ich wurde nicht dazu geboren, ein Königtum zu beanspruchen .
Aber er konnte sie nicht bitten, es aufzugeben – nicht nachdem er gekämpft und all die Pläne geschmiedet hatte, um es für sie zurückzuerobern. Er konnte bei ihr bleiben – als einer ihrer Hauptleute oder Generäle, als Anführer ihrer Armee – oder fortlaufen und sein Glück allein in den Ländern jenseits der Berge suchen, über die er nur Mythen, Legenden und wirre Reisebeschreibungen kannte.
Eine Krone. Er konnte einen dritten Pfad einschlagen. Er konnte sich erklären, ihr seine Gefühle offenbaren ... ja, wären die Dinge anders, hätte er sie geheiratet und zwar mit Freuden – aber sie war von königlichem Geblüt und würde Königin auf einem der ältesten Throne ihrer Welt sein, und das allein war eine große Verpflichtung. Königinnen heirateten nicht aus Liebe – das konnten sie nicht.
Schnell schob er diese Gedanken beiseite. Jetzt war dafür nicht der richtige Zeitpunkt. Er musste sich voll und ganz auf die bevorstehende Aufgabe konzentrieren. Trotz Angharas Zuversicht bestand große Gefahr. Kieran war keineswegs überzeugt, dass die Ehre eines Soldaten bei einem Prinzen über seine Zielstrebigkeit siegen würde. Was Favrin auch sein mochte, er war immer noch Duerins Sohn – und Kieran wusste, dass Anghara bei Duerin Rashin nie gewagt hätte, was sie jetzt tat.
Das Licht draußen war bereits tief golden, der Nachmittag fast vorüber. Kieran trank den letzten Schluck Wein aus seinem Becher und stand auf. »Wir sollten jetzt gehen.«
In der Stadt erlebten sie den Sonnenuntergang. Laternenanzünder gingen auf den Hauptstraßen von Lampe zu Lampe. Gelbes Licht ergoss sich durch offene Fenster auf die Kanäle. Zuweilen hörten sie Musik, wenn sie darunter vorbeigingen, oder leises Lachen oder gedämpfte Gespräche irgendwo über ihnen. Eine Frau in einem scharlachroten Gewand winkte ihnen von einem Balkon mit ihrem Fächer aus Federn. Kieran erstarrte und erwartete, dass sich eine schwere Hand auf seine Schulter legte – aber als die Schritte ihn erreichten, gehörten sie einem jungen Mann, der fröhlich dahinschritt. Er trug eine prächtige Halbmaske unter einem Schlapphut, den Federbüschel zierten. Er lief an ihnen vorbei in Richtung des Balkons. Kieran atmete erleichtert auf. »Es ist unmöglich, dass hier jemand unsere Identität kennt – zumindest jetzt noch nicht«, beruhigte er sich selbst. »Trotzdem ... ich wünschte, ich könnte das Gefühl loswerden, dass alle schauspielern und genau wissen, wer wir sind.«
»Wie spät ist es?«, fragte Anghara. Kieran erkannte, dass sie weder die grell geschminkte Frau auf dem Balkon noch den jungen Mann gesehen hatte, der an ihnen vorbeigelaufen war. Beide hatten bei ihr kaum mehr Eindruck hinterlassen als ein Geist. Anghara hatte heute
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