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Die Rueckkehr der Phaetonen

Titel: Die Rueckkehr der Phaetonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgi Martynow
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erst bemerkt zu haben. Muncius saß zurückgelehnt in seinem Sessel und trommelte in seiner gewöhnlichen Manier leise mit den Fingern auf der Armlehne. In der Haltung seines Vaters sah Lucius einen stummen Tadel und sein Herz drückte sich wehmütig zusammen. Er kannte den klaren Verstand und die langjährige Lebenserfahrung seines Vaters nur zu gut und war daran gewöhnt, ihm bei allen Dingen zu glauben. Es war das erste Mal, dass ihre Meinungen auseinander gegangen waren. In diesem Moment schien es Lucius undenkbar, für seine Idee einzutreten - nun war er sich fast völlig sicher, dass er und Io gerade einen großen Fehler begingen, den sie später bereuen würden. Er wäre froh gewesen, wieder von der Tribüne herunter gehen zu können, aber es war bereits zu spät. Er begann zu sprechen.
    All diejenigen, die von ihm eine emotionale Rede erwartet hatten, waren nun erstaunt über seine Zurückhaltung. Lucius schilderte kurz und objektiv die Geschichte seiner Arbeit am Körper des Menschen, der vor sechs Jahren aus einem Bleisarg entnommen worden war, nachdem er fast zweitausend Jahre darin verbracht hatte. Dann sprach er etwas ausführlicher über den Zustand, in dem sich dieser Körper jetzt befand, und beendete seine Rede mit der Bitte, ihm und seinen Kameraden den Versuch zu gestatten, diesen Menschen wieder zum Leben zu erwecken.
    Während dir gesamten Rede hatte er mit keinem einzigen Wort seine Meinung über die moralische und psychologische Seite dieser Frage erwähnt. Im Allgemeinen war der Tonfall seiner Rede so kühl, dass Io mit Iossi einen staunenden Blick wechselte und zornig die Schultern zuckte. Man bekam den Eindruck, als hätte sich Lucius aus dem Autor des Projekts noch nicht in seinen Gegner verwandelt, aber bereits in jemanden, der nicht wusste, auf welche Seite er sich stellen sollte.
    »Wirklich merkwürdig!«, bemerkte Cäsium, der neben Wladilen und Mary nicht weit von der Tribüne saß.
    »Muncius’ Einfluss«, sagte die junge Frau verärgert. Die Worte waren so laut, dass ihr Großvater sie hörte, die Augen öffnete, seine Enkelin im Publikum fand und dann vorwurfsvoll den Kopf schüttelte.
    Als Lucius mit seiner Rede fertig war, verbeugte er sich vor dem Rat und ging von der Tribüne, wobei er Platz für Io machte. Der Vorsitzende, der nun von dem merkwürdigen Tonfall des wichtigsten Ideenbefürworters genauso überrascht war wie alle anderen, hatte Io vorgeschlagen, als zweiter zu sprechen.
    Lucius kehrte zurück an seinen Platz, setzte sich hin und bedeckte die Augen mit der Hand. So saß er dann die ganze Zeit da, die die Anhörung der Meinungen brauchte und wechselte kein einziges Mal seine Haltung. Die lebhafte Rede von Io, der den Eindruck der Rede seines Freundes vertreiben wollte und der glänzende Auftritt von Iossi schienen ihn ebenfalls nicht berührt zu haben. Auch während er die gesamten Widersprüche hörte, blieb seine Haltung dieselbe wie vorher. Er öffnete die Augen erst dann, als verkündet wurde, dass die Anhörung zu Ende war und die Frage zur Abstimmung gestellt wurde.
    Der Vorsitzende erinnerte den Rat in knappen Worten an die immense moralische Verantwortung und an die Pflicht eines jeden, seine Mitmenschen respektvoll zu behandeln. »Wir haben die Meinungen beider Seiten gehört«, sagte er. »Der Initiator dieser Idee hat es vorgezogen, seine Meinung nicht zu äußern. Offenbar wollte Lucius den Rat nicht durch die Kraft seiner Autorität beeinflussen und wir schätzen die Zurückhaltung, die er an den Tag gelegt hat. Es ist leicht, einem Menschen Schaden zuzufügen, aber es ist auch schwer, einen so bedeutenden Versuch nicht zu Ende zu führen. Der jahrhundertelange siegreiche Weg der Wissenschaft hat den Boden für diesen Versuch vorbereitet und wenn Lucius und Io ihr Vorhaben verwirklichen können, dann wird es dieses Ereignis sein, das diese Epoche ausmachen und der Menschheit eine neue Seite im Buch des Wissens öffnen wird. Auf einer Schale der Waage liegt ein großer wissenschaftlicher Sieg und auf der anderen eine mögliche Tragödie eines menschlichen Wesens. Jetzt hängt es von euch ab, welche dieser beiden Schalen überwiegen wird. Jeder, der seine Stimme gibt, sollte sich in die Lage des Menschen versetzen, über dessen Schicksal wir entscheiden. In unserer Welt ist der Mensch das wertvollste Geschöpf der Natur, aber die Wissenschaft ist nicht weniger wertvoll. Diese Frage ist sehr schwierig und die gesamte Menschheit interessiert sich nicht

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