Die Rueckkehr der Phaetonen
offenherziger Liebe.
»Ich habe Angst davor, in die Welt zu gehen«, sagte Wolgin, »habe mich aber fest entschlossen, diesen Schritt endlich zu machen.«
»Gute Entscheidung«, antwortete Io. »Sie könnten noch ein Jahr in der Einsamkeit verbringen, aber das heutige Leben kann man nur kennen lernen, indem man es selbst erlebt. Einen anderen Weg gibt es nicht.«
»Sagen Sie lieber >du< zu mir«, bat Wolgin. »Es wäre viel angenehmer für mich. Und Sie beide auch«, sagte er zu Mary und Wladilen.
»Nur in dem Fall, wenn Sie es auch tun«, lächelte Io. »Lucius hält Sie für seinen Sohn. Ich bin viel älter als er, also können Sie mich ruhig für Ihren zweiten Großvater halten. Und Mary ist Ihre Schwester.«
Muncius war ebenfalls hier und nun sah Wolgin ihn verlegen an. Die Taktlosigkeit, die Io, natürlich nicht mit Absicht, betont hatte, brachte ihn fast zur Verzweiflung. Wie konnte er bloß den Menschen vergessen, dem er so viel verdankte, warum hatte er zu Lucius’ Vater nicht schon lange dasselbe gesagt, was er jetzt ausgesprochen hatte? Und was sollte er jetzt tun, um aus dieser peinlichen Situation herauszukommen?
Muncius verstand Wolgins Gedanken sofort. Er lächelte gutmütig, stand auf und ging zu seinem Schreibtisch, als hätte er dort etwas vergessen. Als er an Wolgin vorbei ging, beugte er sich zu ihm und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. Und Wolgin wusste sofort, dass der alte Wissenschaftler überhaupt nicht sauer war und ihm alles verziehen hatte. Das Taktgefühl von Muncius sorgte dafür, dass er sich wieder besser fühlte und Muncius im Stillen dankte. Von den anderen, die hier anwesend waren, schien übrigens niemand diese kurze Szene bemerkt zu haben.
»Und ich werde Ihr Bruder sein«, sagte Wladilen. »Dein Bruder«, korrigierte er sich.
Der ungewöhnlich schöne Klang seiner tiefen Stimme war verblüffend -Wolgin hatte auch früher bemerkt, dass Wladilens Stimme sich durch ihre Klarheit und den besonderen, ein wenig metallischen Klang sehr von den anderen unterschied. »Ich glaube, du kannst sehr gut singen«, sagte er.
»Wladilen ist einer der besten Sänger unserer Zeit«, antwortete Lucius. »Seine Stimme besitzt eine seltene Kraft und Schönheit.«
»Aber er ist doch ein Astronom!«
»Na und?« Wladilen war ehrlich verwundert. »Können Astronomen denn nicht singen?«
»Ich glaube, ich verstehe Dmitrij«, sagte Muncius. »Es wundert dich, dass Wladilen trotz einer solchen Stimme kein professioneller Sänger ist, nicht wahr?«
»Ja, genau.«
»Es ist keine Ausnahme mehr, sondern eher die Regel. Zu deiner Zeit sind die Menschen in die Theater gegangen, die es in ihren Städten gab - es gab viele Städte und noch mehr Theater. Die Künstler waren alle unterschiedlich. Die einen hatten mehr Talent, die anderen weniger. Die, die talentierter waren, lebten in großen Städten, und die Menschen, die weit von den großen Städten entfernt wohnten, mussten sich mit einer weniger guten Darbietung zufrieden
geben. Bei uns ist es anders. Ein Schauspiel, ob es nun eine Oper oder ein Spektakel ist, wird von den besten Künstlern auf dem Planeten gespielt, und nachher kann jeder ein beliebiges Theaterstück jederzeit in der Aufnahme sehen. Das hat dazu geführt, dass viele Künstler wie Wladilen ihre Partie nur ein einziges Mal richtig singen müssen - und natürlich ist ihr Leben dann nicht ganz von der Kunst ausgefüllt, so dass sie einen anderen Lieblingsberuf ausüben können.«
«Das heißt, ihr habt keine Theater mehr?«
»Doch, sogar sehr viele. Der unmittelbare Kontakt der Schauspieler mit den Zuschauern ist immer notwendig. Es gibt auch professionelle Schauspieler, die ihr ganzes Leben der Kunst widmen, nur dass ihre Auftritte nicht mehr verewigt werden. Bei Wladilen und anderen besonders begabten Künstlern ist es anders. Ihre Darbietungen werden für Jahrhunderte aufbewahrt - und in diesem Sinne ist es auch kein Theater mehr.«
»Kann ich dich irgendwann singen hören?«, fragte Wolgin Wladilen.
»Jederzeit, wenn du willst. Ich habe, wenn ich mich recht erinnere, achtzehn Rollen in zwölf Opern gespielt — du kannst dir jede von ihnen anhören. Und wenn du es wünschst, kann ich auch nur für dich singen. Oder wir können Mary für ein Duett nehmen.«
»Singen Sie denn etwa auch, Mary?«
»Warum denn >Sie?<« Die junge Frau lachte.
»War mein Fehler«, sagte Wolgin ernst. »Kommt nicht wieder vor. Also, du singst auch?«
»Ich kann mich natürlich nicht mit Wladilen
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