Die Rueckkehr der Phaetonen
sie zu Wolgins Zeit gewesen war, befand sich nach seiner Einschätzung etwa dreißig Kilometer entfernt — und zwei Städte von solcher Größe konnten sicher nicht nebeneinander sein. Also konnte es sich nur um Leningrad handeln, ein inzwischen ins Unermessliche gewachsener Riese, der alles verschlungen hatte, was ihn vorher in einer beachtlichen Entfernung umgab.
Auf dem Weg sah Wolgin keinen einzigen Wolkenkratzer, was ihn aber nicht allzu sehr verwunderte. Er wusste mittlerweile, dass die Menschen längst aufgehört hatten, zahllose Stockwerke aufeinander zu stapeln. Die modernen Wohnhäuser, die manchmal zwei und selten drei Stockwerke hatten, standen in großen Entfernungen voneinander, und jedes war entweder von einem Garten oder einem Streifen üppiger Bäume umgeben. Vom Joch der Entfernungen befreit und mit schnellen und bequemen Transportmitteln ausgerüstet, hatten die Menschen keine Angst mehr davor, die Häuser einer Ortschaft über riesige Flächen zu verstreuen. Der Platzmangel für die Bevölkerung, der die Städte der Vergangenheit immer auszeichnete, war nun vollkommen verschwunden.
Ja, das war Leningrad, und Wladilens Worte, mit denen er Wolgin ansprach, bestätigten es. »Wo möchtest du denn landen?«
»Dort, wo das frühere Leningrad gewesen ist. Irgendwo am Newaufer.«
»Aber dort ist doch keine Stadt mehr. Dort ist der Oktoberpark ...«
»Na dann! Landen wir also im Oktoberpark«, sagte Wolgin, und seine Stimme brach vor Traurigkeit. Kein Leningrad war mehr da! Seine Befürchtungen hatten sich bestätigt — die Stadt hatte sich nach Süden verschoben. Alles, was das alte Leningrad war, war nun vom Antlitz der Erde verschwunden. Dort, wo die wunderschönen und so vertrauten Gebäude standen, war nun ein Park, dessen Name Wolgin bekannt war, aber seinem Herzen nichts mehr sagte. Wolgins Vorfahren hatten die Schöpfungen Woronichins, Rossis, Baschenows und Rastrellis für unsterblich gehalten. Die Existenz Leningrads schien undenkbar ohne Ermitage, ohne Smolnyi, ohne Marmorpalast, ohne Kasaner Kathedrale und Isaakskathedrale. >Und der »Eherne Reiter«?<, dachte Wolgin, und die gesamte Schönheit des Wiedersehens verblasste. Was konnte dieses neue Leningrad für ihn schon bedeuten! Er hielt die Bitte zurück, die schon bereit war, von seinen Lippen zu kommen — die Bitte, umzukehren, in irgendeine andere Stadt fliegen, vielleicht nach Moskau. Wie sich die ehemalige Hauptstadt auch immer verändert hatte, einen derartigen Schmerz konnte sie nicht mehr verursachen.
»Die Bewohner Leningrads warten auf dich«, sagte Wladilen. »Sie würden dich gerne zuerst treffen.«
»Die Bewohner Leningrads« ... Hätte Wladilen doch nur den Mund gehalten! »Wir kommen später hierher zurück«, sagte Wolgin. »Zuerst würde ich gerne die Newa sehen.«
»Gut, fliegen wir in den Park.«
Der Aref stieg etwas höher und flog schneller. Mary nahm ihr Teleoff aus der Tasche und sagte etwas — offenbar dass man Wolgin jetzt noch nicht erwarten sollte.
Die Stadt unter ihnen war endlos. Da blieb der riesige Park oder auch Garten zurück, der auf den Hügeln lag. Wolgin erkannte die Stelle sofort. Die Pulkowski-Höhen! In weiter Ferne blitzte die Oberfläche des Finnischen Meerbusens auf... Was waren die zweitausend Jahre für die Natur? Ein Augenblick! Wie schon zu den Zeiten, als es Russland nicht einmal gegeben hatte, so strömte die majestätische Newa auch jetzt, ohne darauf zu achten, was die Menschen an ihren Ufern taten. Es hatte hier eine Stadt gegeben, dann war sie verschwunden ... Vielleicht würde hier irgendwann eine andere entstehen, vielleicht auch nicht.
Der Natur war das alles gleichgültig.
Kein Leningrad!
Aber wenn es so war, was blitzte dann so vertraut und nahm die immer deutlichere Form einer goldenen Kuppel an, je näher sie kamen? Es war genau an der Stelle, wo sich die berühmte Kathedrale hätte befinden müssen. Und rechts davon stach eine goldene Nadel in den Himmel! Doch nicht etwa ...? Die drückende Erwartung, die sich mit Angst vermischte, quälte Wolgin nicht lange. Die Augen eines Scharfschützen sahen bereits alles.
Das breite blaue Band des Newa-Hauptstroms. Am Ufer, an dem sie sich befanden, erhoben sich die schlanken Kolonnaden, die das obere Stockwerk der Isaakskathedrale schmückten, aus dem Baumdickicht. Etwas weiter, hinter der dünnen Linie einer Brücke, stiegen die grauen Bastionen der Peter-Paul-Festung aus dem Wasser empor. Alles war genau so wie früher!
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