Die Rueckkehr der Templer - Roman
mehr, was ich noch denken soll, aber irgendetwas erscheint mir an der Sache merkwürdig«, murmelte er abwesend. »In Jerusalem kannst du niemandem trauen, außer den Menschen vielleicht, die ihre Verlässlichkeit bereits unter Beweis gestellt haben.«
Lyn setzte ein halbherziges Lächeln auf. »Nach dem, was wir euch |211| vorhin gezeigt haben, glaubst du mir vielleicht, dass Vertrauen nicht unbedingt zu unseren grundlegenden Eigenschaften gehört.« Ohne noch etwas hinzuzufügen, ging sie weiter bis zu jener Mauer, die sie kurz zuvor hinaufgeklettert waren. Offenbar hatte Montbard nach ihrem Eindringen die Wachen verstärkt. Jedenfalls patrouillierten nun zwei bewaffnete Templer unweit entfernt mit zwei beeindruckend großen Hunden an der Mauer entlang. Als sie Khaled und seine weibliche Begleitung erkannten, drehten sie unvermittelt ab und verschwanden im Schatten eines mehrstöckigen Turms. Anscheinend hatte sich bereits herumgesprochen, dass sie Gäste des Seneschalls waren.
Lyn wandte sich dem Friedhof zu, und Khaled folgte ihr, blieb aber ein Stück zurück, als sie stehen blieb, um über die Mauerkrone hinweg auf die gespenstisch ruhig erscheinende Stadt zu schauen. Hier und da flackerten Feuer im steinernen Häusermeer. Und wie überall an diesem seltsamen Ort lag ein Geruch nach getrocknetem Kameldung, Holz und fossilen Brennstoffen in der Luft.
Lyn spürte Khaleds Blicke im Nacken, aber sie reagierte nicht. Sie wollte abwarten, ob er von sich aus etwas sagte. Als er weiterhin schwieg und auch sonst keinerlei Anstalten machte, sich ihr zu nähern, wandte sie sich ihm zu und sah, dass er mit verschränkten Armen an einem Grabstein lehnte und sie im Mondlicht betrachtete.
Lyn versuchte sich an einem Lächeln. »Zweifelst du etwa daran, dass ich ein normaler Mensch bin und das, was wir euch gezeigt haben, wahr ist?«
Khaled brachte es nicht über sich zurückzulächeln. Wenn sie nur ahnte, wie nah sie mit ihrer Vermutung der Wahrheit kam. Nach allem, was geschehen war, wunderte es ihn nicht, dass ihm mit einem Mal nicht nur Lyn und ihre Schwester, sondern auch André de Montbard und die ganze Umgebung unwirklich erschienen. Ein einziger Blick auf Lyn reichte aus, um zu wissen, dass sich sein eigenes Leben, das bisher in Bedeutungslosigkeit zu versinken drohte, in nur einem Herzschlag geändert hatte – wegen einer Frau, die so schön war wie ein Engel und gleichzeitig so geheimnisvoll wie Fatima selbst. Spätestens seit er einen Blick in ihr seltsames Kästchen werfen durfte, schwirrten ihm tausend und ein Gedanke durch den Kopf. Angesichts ihres überwältigenden Wissens fühlte er sich plötzlich minderwertig und einfältig und stellte |212| sich unentwegt die Frage, ob er überhaupt würdig war, weiterhin mit ihr sprechen zu dürfen.
Und nun hatte sie ihn unter einem Vorwand nach draußen gelockt – offenbar, weil
sie
mit ihm reden wollte.
»Ich frage mich die ganze Zeit, wie es dort ist, wo du herkommst, und wie du dort gelebt hast?« Seine Stimme war leise und rau, aber sie zitterte nicht mehr. Khaled hatte seine Furcht überwunden, spätestens nachdem Bruder André so besonnen auf das Erscheinen und die Vorführung der beiden Frauen reagiert hatte.
Merkwürdigerweise war der Seneschall der Templer überhaupt nicht überrascht gewesen.
»Also trifft es zu«, hatte Montbard geraunt und sogleich wieder geschwiegen, als er Khaleds fragende Blicke bemerkt hatte. Ohne nähere Erklärungen abzugeben, hatte er Khaled beiseitegenommen und ihm mit verschwörerischer Miene den Eid abverlangt, über alles zu schweigen, was er im Zusammenhang mit den beiden Frauen gesehen oder gehört hatte, selbst gegenüber der Königin. »Niemand«, hatte er mit heiserer Stimme geflüstert, als er mit Khaled nach draußen gegangen war, »niemand darf je erfahren, wer sie in Wahrheit sind und woher sie stammen.«
Khaled hatte – obwohl er sich über Montbards Verhalten wunderte – noch im Gehen die Rechte auf sein Herz gelegt und auf Allah geschworen, dabei hatte er bedauert, dass er – wenn er sich an den Eid hielt – selbst seinem eigenen Emir, Alī bīn Wafā, nicht von dieser außergewöhnlichen Geschichte berichten durfte. Der Meister der Nizâri würde vielleicht wissen, wie man das Phänomen der Zeitreise und die Fähigkeiten der beiden Frauen vor dem Hintergrund der geheimen Lehren erklären könnte.
Nach dem Glauben der Isma’iliten existierten in der verborgenen, unvergänglichen Wahrheit sieben
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