Die Rueckkehr der Templer - Roman
Anmerkungen hatten sie dabei stets verzichtet. Es stand außer Frage, dass ihr Einsatz die Welt vor ihrem Untergang retten würde. Vielleicht hatten sich die Bedingungen in der Zukunft bereits verändert. Mako war unerwartet gestorben und mindestens fünf weitere Fatimiden mit ihm, die keine Kinder mehr zeugen konnten und deren Nachfahren nun ausgelöscht waren.
»Spätestens als ich dich auf mein Pferd gehoben habe, hätte ich mir denken können, dass du eine Christin bist«, unterbrach Khaled ihre Gedanken. »Eine Muslima hätte mir die Augen zerkratzt, wenn ich sie |80| auch nur angefasst hätte, ohne ihre Zustimmung oder die ihrer Familie zu erfragen.«
Lyn wandte sich um und schaute ihm ins Gesicht, um beurteilen zu können, wie er seine Bemerkung gemeint haben könnte. Doch in seinen Augen war nichts zu erkennen, außer einer für ihren Geschmack unangebrachten Belustigung.
»Und wie verfährt man mit einer Frau, die keine Familie besitzt?«, fragte sie und dachte an sich selbst. Ihre Eltern hatte sie nie kennengelernt, sie war mit einer Reihe von genetisch verwandten Geschwistern in einer Brutfabrik gezeugt worden. Dass sie überhaupt einen Namen besaß, hatte sie Lion zu verdanken. Zuvor hatte man ihnen lediglich Nummern eintätowiert.
Khaled schien ihren Zweifel zu spüren, seine amüsierte Miene schwand augenblicklich.
»Du hast niemanden, der zu dir gehört?«
»Mit Ausnahme von Rona.« Lyn hatte gleichgültig klingen wollen, aber es gelang ihr nicht.
»Das tut mir leid.« Der Ausdruck in seiner Stimme zeugte von Vorsicht und Mitgefühl. »Meine Eltern sind auch früh gestorben, ich weiß, wie das ist.«
Khaled setzte sich auf und blickte zu Berengar und Rona, die auf gleicher Höhe auf der anderen Seite des Trecks ritten. »Deine Schwester passt gut auf dich auf, da bin ich mir sicher.«
Lyn erwiderte nichts. Die ganze Zeit über beobachtete sie Rona und den Templer, die im Gegensatz zu ihr und Khaled kaum ein Wort miteinander wechselten.
Sie fragte sich, was Rona ihrem Begleiter wohl erzählen würde, wenn er sie auf ähnliche Weise auszuquetschen versuchte, wie Khaled es bei ihr tat. Dummerweise hatte sie sich mit ihrer Schwester nicht abgesprochen, was sie preiszugeben bereit waren. Vielleicht konnte sie Khaleds Fragen entgehen, wenn sie den Spieß einfach umdrehte.
»Was unterscheidet eine muslimische Frau sonst noch von einer Christin?« Lyn ahnte, dass sie jede Chance nutzen musste, um mehr über diese Welt und ihre Sitten zu erfahren, wenn sie die nächste Zeit überleben wollte.
»Ohne dich beleidigen zu wollen, glaube ich, dass es eine Frage der Ehre ist«, gab er zur Antwort.
|81| »Ehre?« Lyn schaffte es nicht, ihre Verwunderung zu unterdrücken. »Was meinst du mit Ehre?«
»Du weißt nicht, was Ehre bedeutet?« Er lachte verhalten. »Nimm’s mir nicht übel, aber das ist typisch für eine Christin. Euch scheint es völlig egal zu sein, was andere Menschen über euch denken. Die Männer lassen sich in aller Öffentlichkeit von ihren Frauen herumkommandieren, und die Frauen laufen mit offenen Haaren und ohne männliche Begleitung auf den Märkten herum, besitzen ihr eigenes Geld und kaufen, wonach ihnen der Sinn steht. Mitunter ist es ihren Ehemännern sogar gleichgültig, ob sie mit Fremden ihr Lager teilen.«
Lyn konnte ihr Erstaunen kaum verbergen.
»Was ist so abwegig daran, wenn eine Frau in einer Truppe das Kommando führt oder zusammen mit einem Mann in einem Bett schläft?«
Vieles von dem, was Lion ihnen über diese Zeit beigebracht hatte, war ihr grotesk und unglaubwürdig erschienen. Bereits vor ihrem Start hatte sie sich die Frage gestellt, ob es tatsächlich stimmen konnte, was Historiker über die gesellschaftlichen Hintergründe dieser Zeit berichtet hatten. Von Beginn an hatte sie geahnt, dass ihr die gewaltigen, kulturellen Unterschiede Probleme bereiten könnten. Es kam ihr vor wie in der Mathematik – nur wenn ihr die Formel logisch erschien, war sie in der Lage, sie anzuwenden.
»Du würdest mich also ohne Zögern in dein Bett lassen?« Khaleds Stimme verriet amüsiertes Unverständnis.
Lyn wurde ungeduldig. »Wenn es notwendig wäre, warum nicht?«
Obwohl, wenn sie ehrlich war, fühlte sich der Gedanke, mit Khaled die Nacht zu verbringen, irgendwie abenteuerlich an, obwohl es dazu eigentlich gar keinen Grund gab. »Solange du mir wohlgesinnt bist und keine merkwürdigen Geräusche von dir gibst.«
»Merkwürdige Geräusche«, wiederholte Khaled
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