Die Rueckkehr der Templer - Roman
spüren, dass mit dir und deiner Schwester etwas nicht stimmt. Trotzdem verweigert Allah mir die Weisheit, es zu verstehen.« Er räusperte sich. »Ich würde euch gerne helfen, aber ich weiß nicht einmal wobei. Deine Schwester verhöhnt mich, und du ziehst es vor, die Geheimnisvolle zu spielen. Dabei …« Er zögerte und schaute zu Boden. »Du bist gewiss ein wunderbares Mädchen und besitzt mindestens hundertmal mehr Herz als deine Schwester, aber solange auch du mir nicht vertraust, kann ich nichts für euch tun.«
Nun war er es, der über Lyns Wange streichelte. Ihre Haut war unglaublich zart – als ob er Seide berührte. Aus dem Augenwinkel sah er, dass Rona mit verschränkten Armen an einer Mauer lehnte und sie beobachtete, aber nicht daran dachte, näher zu kommen, geschweige denn sich bei ihm zu entschuldigen. Lyn hielt hingegen die Augen geschlossen, sie schien seine Liebkosungen zu genießen. Er verwarf alle Vorbehalte, die er gegen sie gehegt hatte. Er sehnte sich danach, sie zu küssen, ihren geschmeidigen Leib an sich zu pressen, sie zu überreden, mit ihm in den Palast zurückzukehren und in seinen Armen einzuschlafen – ohne ihre vermaledeite Schwester, die er am liebsten zur Hölle gejagt hätte.
|166| Lyn schlug die Augen auf und seufzte leise, als ob sie seine Gedanken erraten hätte. »Wir stehen ziemlich unter Druck«, gestand sie flüsternd, »wenn wir unseren Auftrag nicht erfüllen und nicht unverzüglich Kontakt zu den Templern aufnehmen, muss ein Mann, den wir durchaus als unseren Vater bezeichnen können, sterben. Er – Lion – befindet sich in der Gewalt unserer Feinde. Sie haben ihm bereits einen Arm abgeschnitten und werden ihn auf grausame Weise töten, wenn wir die Bedingungen, unter denen er gefangen gehalten wird, nicht in den nächsten vierundzwanzig Stunden verändern.«
Mit dieser Erklärung konnte Khaled etwas anfangen. Sein Vater war auch in Stücke zerteilt worden, und man hatte seine Leichenteile an den Außenmauern von Damaskus aufgehängt, damit das Volk sie zur Abschreckung bestaunen konnte und die Geier sich nach und nach daran gütlich taten. »Ich weiß, was du meinst«, bekannte er leise. »Mein Vater wurde auch auf eine ähnlich furchtbare Weise getötet, mit dem Unterschied …« Khaled senkte seine Stimme. »… dass ihm niemand mehr helfen konnte.«
Knapp fünf Jahre war Khaled alt gewesen, als die Hyänen des Emirs von Damaskus seinen Vater nach einer Regierungssitzung kaltblütig mit Säbeln getötet hatten, weil sie ihrem Wesir eine verräterische Verbindung zum syrischen Oberhaupt der Nizâri nachsagten. Khaled erinnerte sich gerne an das gütige Lächeln seines Vaters, wenn er voller Stolz auf ihn herabgeblickt hatte.
»Gepriesen sei Allah und all seine Propheten, wenn er mir die Möglichkeit gäbe, in der Zeit zurückgehen zu können, um seinen grausamen Tod zu verhindern«, bemerkte er rau.
Lyn stand dicht vor ihm und schaute ihn an. Er spürte, wie sie fröstelte.
»Ist dir kalt?« Rasch entledigte er sich seines Mantels und legte ihn um ihre Schultern.
»Glaub mir, es gibt vielleicht einen Weg«, flüsterte sie. Ihre Hand lag plötzlich auf seiner Schulter. Eine sachte, federleichte Berührung, die ihn trösten sollte, und das tat sie auch. Khaled spürte, wie sein Herz schneller schlug, als etwas in ihm beschloss, sich hinabzubeugen, um sie zu küssen. Ihre Lippen berührten sich, erst leicht und dann immer drängender.
|167| Lyn empfing seinen Kuss wie erstarrt, und doch war es das Schönste, was sie je erlebt hatte. Das Gefühl wurde stärker, als er sie umarmte und mit einem tiefen Seufzer an sich zog. Wie von selbst öffnete sich ihr Mund. Seine Zunge berührte ihre. Ihr Herz raste, und die Hitze, die sie plötzlich in ihrem Innern empfand, setzte sich fort und schoss direkt zwischen ihre Schenkel. Erschrocken wich sie zurück.
»Was soll das werden, wenn es fertig ist?« Ronas schneidende Stimme war dicht hinter ihr erklungen. Sie betrachtete Lyn mit einem merkwürdigen Blick, von dem man nicht sagen konnte, ob er strafend oder mahnend war.
Hastig wollte Lyn sich aus Khaleds Umarmung befreien. Er aber hielt sie immer noch fest und entließ sie nur zögernd.
Lyn nahm ihrer Schwester gegenüber eine kämpferische Haltung ein. Sie durfte nicht länger zulassen, dass sie Khaled wie einen Trottel behandelte. »Er hat dir das Leben gerettet«, bemerkte sie hart. »Wenn er dich nicht auf den Balkon gestoßen hätte, wärst du verbrannt.
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