Die Rückkehr des Fremden (German Edition)
darauf.
Sie brauchte doppelt so lange, um den kurzen Weg zurückzugehen, aber wenigstens kamen die Krämpfe nicht mehr. Sie ging direkt zu den Ställen und hörte, wie Futter in einen Blechtrog gekippt wurde. Sie sah ihn in der letzten Box, wo er sich einen Jutesack über die Schulter schwang.
„Jacob?“
Er drehte sich um. „Kathryn!“
Bei der Besorgnis in seiner Stimme blieb sie stehen. Im schwachen Licht konnte sie fast die Umrisse seiner Augen ausmachen. Er hatte seine Brille nicht auf. Sie ging neugierig einen Schritt vor, aber er drehte sich schnell weg.
Jacob ließ den Sack fallen und murmelte etwas, das Kathryn nicht hören konnte. Einige Sekunden später kam er aus der Box, den Futtersack in der Hand und die Brille auf der Nase. „Wie geht es dir heute Morgen?“ Er runzelte die Stirn, als er näher kam. „Geht es dir gut? Du siehst blass aus.“
„Ich mache mir Sorgen um … mein Baby.“ Ihr Bauch zog sich wieder schmerzhaft zusammen, wenn auch dieses Mal nicht so stark. Ihre Angst war größer als das Unbehagen, über so persönliche Dinge zu sprechen. „Ich ging heute Morgen spazieren und dann setzten Schmerzen ein. Jetzt sind sie nicht mehr so stark, aber ich habe Angst, dass vielleicht etwas nicht stimmt. Ich wollte fragen, ob du mich zum Arzt in die Stadt fahren könntest.“
Jacob ließ den Futtersack fallen und schaute zum Heuboden hinauf. „Gabe!“
Einige Sekunden später lugte Gabe lächelnd nach unten. „Guten Morgen, Miss Kathryn.“
„Ich bringe Mrs Jennings in die Stadt. Kannst du dich hier eine Weile um alles kümmern?“
„Natürlich, Jacob. Kein Problem. Pass du gut auf Miss Kathryn auf.“
Kathryn ließ sich vorsichtig auf den Untersuchungstisch nieder und legte ihre Hand behutsam über ihren runden Bauch. Sie flüsterte in ihrem Herzen ein Gebet und versicherte ihrem Baby, dass alles gut werden würde. Dann versuchte sie, es selbst zu glauben.
„Sie werden bei der Untersuchung einen leichten Druck spüren, Mrs Jennings.“ Dr. Frank Hadleys Stimme verstärkte die Stille in dem kleinen Untersuchungszimmer hinter seinem Büro noch mehr. „Versuchen Sie, sich zu entspannen. Es wird bald vorbei sein.“
Kathryn atmete zitternd aus und fragte sich, ob er das auch sagen würde, wenn er auf dem Untersuchungstisch läge. Ein plötzlicher Krampfanfall in ihrem Unterleib vertrieb ihren Humor schnell wieder.
Oh, Gott, ich habe Angst. Bitte lass meinem Baby nichts passieren.
Sie kniff die Augen zusammen und zwang sich, langsam zu atmen. Ein und aus. Ein und aus. Jeder Muskel in ihrem Körper schien sich zusammenzuziehen. Konzentriere dich auf etwas. Sie dachte daran, dass Jacob auf der anderen Seite der Tür wartete, und fand darin einen unerwarteten Trost. Sie waren auf ihrem Weg in die Stadt vor ein paar Minuten am Friedhof vorbeigefahren. Wenn Jacob nichts dagegen hätte, wollte sie gern ein wenig Zeit dort verbringen, bevor sie heute zurückfuhren. Larson, ich wünschte, du wärst jetzt hier bei mir. Und du könntest sehen, wie unser Kind in mir heranwächst. Und du könntest bald unseren Sohn oder unsere Tochter auf den Armen halten …
„Jetzt könnte es kurz wehtun, Mrs Jennings“, sagte Dr. Hadley leise vom anderen Ende des Tisches.
Kathryn zuckte bei dem kurzzeitigen Schmerz zusammen und merkte, wie eine Träne über ihre Schläfe und in ihren Haaransatz lief. Nachdem sie jahrelang für ein Kind gebetet hatte, war es jetzt nicht so, wie sie es sich erträumt hatte. Statt dass die Geburt ihres ersten Kindes von Staunen und hoffnungsvoller Erwartung begleitet war, hatte sich nun in jedem Winkel ihres Herzens Angst breitgemacht.
Nichts kann dich aus meiner Hand reißen.
Das Flüstern war so real, dass Kathryn fast einen weichen Hauch auf ihrem Gesicht fühlen konnte. Sie zitterte am ganzen Körper.
Dr. Hadley hielt mit seiner Untersuchung inne. „Geht es Ihnen gut, Mrs Jennings?“
„Ja“, antwortete sie leise und genoss immer noch den leisen Widerhall der Stimme. Ja, ich will dir vertrauen, Herr. Ich bin in deinen Händen sicher.
Dann durchfuhr sie ein Gefühl, das ihr nicht neu war. Kathryn wusste, dass der Gedanke lächerlich war – sie hatte ihn vor Monaten beerdigt –, aber sie hatte das Gefühl, Larson wäre am Leben. Sie konnte ihn mit allem, was in ihr war, immer noch fühlen, sein gut aussehendes Gesicht sehen, seine dunklen Haare, die sich in seinem Nacken zu Locken rollten, sein starkes Kinn und seine blauen Augen, die sie so sehr
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