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Die Rueckkehr des Henry Smart

Die Rueckkehr des Henry Smart

Titel: Die Rueckkehr des Henry Smart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roddy Doyle
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Ja, Sir.
    – Ab mit dir.
    – Danke, Sir.
    – Und gib acht, der Boden ist rutschig.
    Peter rührte sich nicht.
    – Die Tinte, Sir, sagte er.
    – Was ist damit?
    – Mister McManus hat mich geschickt, Sir. Ich sollte die Tinte holen.
    – Geh zurück zu Mister McManus.
    Ich sah die Angst über Peters Gesicht flackern. Strickland sah sie auch.
    – Sag ihm, dass die Flasche leer war und dass ich ihm in ein paar Minuten die Tinte selbst hochbringen werde, aber ich muss erst neue ansetzen.
    Er sah Peter scharf an.
    – Kapiert?
    – Ja, Sir.
    – Na also. Dann ab mit dir.
    Peter glitschte über die nassen Fliesen. Er versuchte nicht zu rennen, weil er wusste, dass er das nicht durfte.
    – Armer Peter, sagte Strickland. – Er macht uns manchmal Sorgen.
    Er griff nach dem zerbrochenen Flaschenhals. Der Ausgießer steckte noch drin.
    – Kriegst du den raus, Henry? fragte er. – Dann suche ich mir eine neue Flasche.
    Jeden Morgen wurde geläutet. Strickland hob die Glocke hoch über den Kopf, hielt sie dort eine lange Sekunde lang fest und ließ sie dann bei gestrecktem Arm fallen, so dass sie seine Knie streifte. Wieder hob und senkte sie sich, vier Mal, und die frierenden, hibbeligen Jungen stellten sich an und warteten auf die Erlaubnis, aus der Kälte ins Haus zu kommen, zu den zischenden Heizkörpern und der bunten Kreide. Jeden Morgen kamen sie, keiner wurde am Eingang abgewiesen. Die Nonnen waren in der Mädchenschule nebenan sicher aufgehoben und kletterten nie über den Zaun.
    Jeden Morgen strömten diese Jungen aus den neuen Häusern. Die meisten waren in Bruchbuden zur Welt gekommen wie seinerzeit ich –
What about me?
–, aber jetzt hatten ihre Eltern sie hierhergebracht, wo es saubere Luft, frische Farbe und kostenlose Schulbildung gab. Die Häuser waren gut und vom Staat gebaut. Die Schule war gut und vom Staat gebaut. Es war eine weltliche Schule, auch wenn sie – wir waren schließlich in Irland – vom Priester verwaltet wurde, und das war mein Lohn. Sie hatten mich aus dem Land vertrieben, ehe der Staat gegründet worden war. Aber jetzt sorgte der Staat für mich. Und ich sorgte für seine kleinen Jungen. Manche warteten schon, wenn ich den Schlüsselbund aus der Jackentasche nahm, nach dem Schlüssel suchte, den ich brauchte, und die Tür aufmachte.
    – Hi, Hoppy Henry.
    – Herrje, Jungs, ihr seid aber früh dran.
    Hoppy Henry – der Name gefiel mir, er klang frech und lebendig. Und ich bildete mir ein, dass die Jungs genauso gern hier wären wie ich. Es dauerte seine Zeit, bis ich ruhiger geworden war, bis ich merkte, wie sie schlotterten, bis ich ihre Unterernährung bemerkte, die Kopfflechten, die blauen Flecken. Es dauerte seine Zeit, bis ich akzeptiert hatte, dass es Armut auch in den Vororten gab. Und bis mir auffiel, dass immer mal wieder ein Junge verschwand. Ein Hustenanfall rüttelte mich endgültig wach.
    Ich hörte ihn, als ich über den Hof ging, auf dem Weg zu den Außentoiletten, mit einem Eimer in der Hand, in dem ein Desinfektionsmittel war. Der Hof wurde auf dreieinhalb Seiten begrenzt vom eigentlichen Schulgebäude, der Aula und dem Fahrradschuppen. Dort fing sich der Wind und drehte seine Runden, und zwar im Uhrzeigersinn, und die Kids machten es genauso. Alle Spiele, ob Fangen oder Fußball, gingen von links nach rechts. Es war ein windiger Tag, Mitte April, noch winterlich trotz der rosa Blütenblätter, die zwischen den tobenden Jungen herumwehten. Als Einziger ging ich gegen den Wind – von meinem fensterlosen Büro unter der Aula zu den Klos.
    – Hi, Hoppy!
    Der Wind fuhr in das Desinfektionsmittel und fegte mir die oberste Lage an die Hose. Auf dem Boden, nah an der Eingangstür, lag ein Dachziegel, der offenbar gerade erst kaputtgegangen war. Als erstes wollte ich mein Desinfektionsmittel loswerden. Ich würde die Jungs aus den Klos treiben und das Zeug mit so viel Schwung ausschütten, dass es die hintere Wand traf, zurückschwappte und den alten Gestank mit neuem überlagerte. Dann würde ich zu Mr. Strickland gehen und ihm von den fliegenden Dachziegeln erzählen. Ich schaute nach oben, weil ich wissen wollte, ob noch mehr Ziegel fehlten oder auf dem Weg nach unten waren. Der schwere Eimer kugelte mir fast den Arm aus; ich würde aufs Dach steigen und mich dem wütenden Wind stellen müssen. Auf meinem Schreibtisch hatte ich beim Mischen des Desinfektionsmittels Rattenkot gefunden. Es war schon jetzt ein beschissener Tag. Aber ich war glücklich und

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