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Die Rueckkehr des Henry Smart

Die Rueckkehr des Henry Smart

Titel: Die Rueckkehr des Henry Smart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roddy Doyle
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seine Schule eine IRA-Zelle war, und das gefiel ihm nicht. Es war der Priester, der ihm die neuen Lehrer brachte: Wenn eine Stelle zu besetzen war, meldete sich ein junger Mann mit Bestnoten und nagelneuer Aktentasche. Die meisten erwiesen sich als gute und eifrige Lehrer. Aber Strickland begriff zur gleichen Zeit wie ich, dass sie Provos waren. Er schaute zurück – so wie ich – und begriff, was für ein Idiot er gewesen war. Vor einigen Jahren hatte es Spannungen im Lehrerzimmer gegeben, und erst jetzt fiel ihm ein, dass sich damals die IRA in die Officials und die Provisionals gespalten hatte. Er erinnerte sich, dass er überlegt hatte, wo er an einem Montagmorgen um neun eine Vertretung herkriegen sollte, und ein Anruf des Pfarrers die Lage gerettet hatte; ein junger Mann sei schon unterwegs, um die Lücke zu füllen.
    Strickland glaubte, dass ich mit denen unter einer Decke steckte. Und er hatte recht, auch wenn ich das erst zur gleichen Zeit wie er kapiert hatte. Aber ich konnte ihm nichts sagen, er hätte es nicht hören wollen. Er leitete eine sehr gute Schule und keinen IRA-Unterschlupf. Und dabei konnte es bleiben, wenn keiner was sagte. Die Provisionals hatten nie in den Klassenzimmern geworben, das hatten sie nicht nötig. Als ich anfing, über den Tellerrand zu gucken und mich wirklich für Irland zu interessieren, wurde mir klar, dass es wie 1920 war: Jede dämliche Entscheidung, jede Schießerei, jedes Gummigeschoss, Internierung, Bloody Sunday, jedes überzeugende Gerücht – die geheimen Absprachen mit den Briten, als es um das Legen meiner Bombe in der Talbot Street und der anderen Bomben an jenem Nachmittag ging –, all das trieb die jungen Männer und Frauen scharenweise den Provos in die Arme. Zustimmung lag in der Luft – überall. Die Briten waren wieder da, im Fernsehen übernahmen sie jeden Abend die Regie. Es gab Leichen, es gab Flüchtlinge. Vergeltungsaktionen und Rache dafür, Terror und Gegenschläge. Zu meiner Zeit war es drei Jahre gegangen. Diesmal ging es Jahrzehnte – und es war immer noch meine Zeit. Der Priester hinter dem Schreibtisch bestätigte es.
    – Große Dinge, sagte er.
    – Mister Strickland hat gesagt, dass Sie mich sprechen wollten.
    Er linste über seine Brille.
    – Ganz recht.
    Das Gewicht hatte sich verlagert. Er konnte so lange über seine Brille linsen, wie er wollte, aber nun musste er zu mir aufsehen. Jahrelang hatte er mich begönnert. Das ging jetzt nicht mehr, nachdem die IRA glaubte, dass ich ihr letzter Aufrechter war. Und ich mich in dem Wissen sonnte, dass ich eine Ehefrau hatte, die mich liebte. Noch besser: eine heimliche Ehefrau. Ich sah sie an, wenn sie lächelnd am Küchenfenster stand, während ich über die hintere Mauer in ihren Garten rutschte, das Fahrrad mit dem harten Lenker auf dem alten Rücken. (Ich war nicht mehr der Gärtner, deshalb musste ich mich nicht nur raus-, sondern auch reinschleichen.) Auf den Feldern hinter der Gartenmauer standen jetzt nagelneue Häuser, an den Fenstern sah man Mammys und Daddys, die brüllende Babys herumtrugen, bis sie wieder einschliefen. Ich wurde nicht jünger, aber all das gehörte zum Spiel. Ich war viel zu alt für solche Sachen, und sie auch. Ich stürmte in die Küche, sie stellte den Kessel an, und wir setzten uns auf die Couch, guckten die
Late Late Show
und schliefen darüber ein. Aber nicht immer. Manchmal war noch ein bisschen Leben in mir, wenn ich in die Küche gestolpert kam. Ich fiel ihr in die Arme oder sie fiel in meine, und sie küsste mich, und unsere Münder öffneten sich und wir lachten, wenn der Atem von zwei alten Leuten sich vermischte und wir einander ansahen und zu erkennen versuchten. Und erst dann kamen die Couch und der Fernseher. Am Samstagabend, und manchmal auch am Mittwoch.
    Ich würde mir vom Priester nicht in die Suppe spucken lassen.
    – Ich habe in letzter Zeit nicht viel von dir gesehen, Henry, sagte er.
    – Jetzt sehen Sie mich ja.
    Er senkte den Kopf noch ein Stück, so dass ihm die Brille nicht im Weg war.
    – Um diese Zeit habe ich immer viel zu tun.
    – Ist ja in Ordnung.
    Es war Frühling, Kommunion und Konfirmation standen an, seit der Bombe waren zwei Jahre vergangen.
    – Und wie geht’s?
    – Bestens.
    – Alles so, wie es sein sollte?
    – Ja, Father. Ich konnte auch höflich sein.
    Er sah mich an.
    – Hab Geduld, sagte er und wiederholte es gleich noch mal. – Hab Geduld. Du verstehst mich?
    – Ja, doch.
    – Das ist die Botschaft, sagte

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