Die Rueckkehr des Henry Smart
bewaffnete Kampf ... du verstehst?
Ich nickte.
– Hinter dem bewaffneten Kampf findet ein zweiter Kampf statt, Henry.
Er sah mich scharf an.
– Und dabei bist du gefragt. Zur richtigen Zeit. Auf den Punkt genau zur rechten Zeit. Dein Wort, Henry. Du hast ja keine Ahnung.
– Welches Wort?
– Du wirst es erfahren, wenn die Zeit gekommen ist.
Er war schon an der Tür.
– Wir sehen uns bald wieder, sagte er. – Halt dich fit. Hab Geduld.
– Du nimmst mich nicht mit?
– Nein, sagte er. – Diesmal nicht.
Die Zähne leuchteten das Zimmer aus.
– Aber deine Zeit wird kommen.
Die Tür stand offen.
– Auf bald
.
Ich blieb, wo ich war. Ich hörte Schritte neben seinen Schritten, Autotüren, einen Motor, zwei Motoren.
– Läuft noch irgendwas Vernünftiges? fragte ich sie jetzt.
Aber sie schlief. Immer noch mit geschlossenem Mund, nicht übel für dreiundneunzig, das musste ich ihr lassen. Ich wollte sie küssen, aber ihr Kopf lag an meiner Schulter, eingepasst wie ein Gewehrkolben.
– Ich hab gelogen, sagte ich. – Ich bin dabei.
Sie schlief weiter.
– Ich liebe dich.
Ich ging in den Ruhestand. Niemand hatte es verlangt. Niemand hatte es angekündigt. Ein fünfzigjähriger Jungspund kam auf dem Gang an mir vorbei, das war der neue Hausmeister. Und es machte mir nichts aus. Es war ein Schlag, aber er traf mich nicht. Ich freute mich für den Mann, dass er einen Job hatte.
Und das war auch so eine Sache: Das Land hörte auf zu wachsen. Der Boom war vorbei. Väter und Großväter holten jetzt die Kleinen am Schultor ab. Sie hatten keine Arbeit und keine Aussicht, eine zu kriegen, und ihre Frauen gingen putzen oder in die Cadbury-Fabrik. Und auch die Schüler änderten sich – hatten keine Perspektive. So jung sie waren, wussten sie, dass ihre Zukunft im Arsch war.
Aber ich war weg und brauchte das nicht mit anzusehen. Die Schlüssel übergab ich dem Pfarrer. Dem sah man allmählich auch sein Alter an. Er hatte schwammige Backen und einen kahlen Kopf, und den Priesterkragen trug er nur noch sonntags. Er sah schmuddelig aus.
– Wir müssen eine schöne Abschiedsfeier für dich organisieren, Henry, sagte er.
An dem Ring waren mehr Schlüssel als damals, als er ihn mir übergeben hatte. Mehr Schlösser, mehr Sicherheit, zusätzliche Baracken im Hof – mehr Schüler, aber kein Geld für richtige Klassenzimmer.
– Nein, danke, sagte ich.
– Doch, irgendwas müssen wir machen, sagte er.
– Nein.
Er zuckte die Schultern. Ganz komisch sah das aus an diesem Mann. Er hatte noch nie die Schultern gezuckt, das hatte er nie nötig gehabt. Er hatte alles gewusst, er hatte immer genau das bekommen, was er gewollt hatte. Es war, als ob diese kleine Bewegung ihm weh tat, ein Muskelschmerz, der über seine Augen zuckte.
Ich drehte mich um und ging. Die Haushälterin saß in der Küche, ihr war ein Bart gewachsen. Ich war durch die Küche reingekommen, aber jetzt ging ich vorn raus.
Schulterzucken war auch angesagt, wenn’s ums langsame Sterben ging. Das hätte ich dem Pfarrer sagen können. Und den Männern am Schultor und den Jungs dahinter. Nicht zu verstehen, so zu tun, als wäre einem alles scheißegal, ganz Irland zuckte die Schultern und schlug die Zeit tot, die ihm geblieben war.
Aber ich war in den Ruhestand gegangen, ein paar Monate vor meinem neunundsiebzigsten Geburtstag. (Strickland war zwei Jahre vor mir abgegangen.) Ich konnte das Schulterzucken allein besorgen, soweit das noch ging. Die Schultern waren steif und kaputt, ich war kleiner geworden.
Nur nicht in Gesellschaft meiner Frau. Dann riss ich mich zusammen und stand gerade.
Ich klingelte.
Mit der Mauerkletterei war es vorbei. Mein letzter Versuch war eine Katastrophe gewesen. Ich hatte versucht, mich und mein Fahrrad über die Mauer zu hieven, war aber unter dem Fahrrad steckengeblieben, zwischen der Mauer und der Scheißhecke dahinter, und musste mir anhören, wie die Sirene eines Krankenwagens näher kam, musste mir den Bullen anhören und die Frau von nebenan, die telefoniert hatte, während sie alle gerätselt hatten, wie ein Mann in meinem Alter in so eine Lage hatte kommen oder ein Wagen mich hatte streifen können, ohne dass ein einziger Knochen oder auch nur die Fahrradlampe zu Bruch gegangen war. Die Nacht zum Sonntag hatte ich im Krankenhaus verbringen und immer wieder erklären müssen, dass das mit dem Holzbein eine alte Sache war und ich nur nach Hause wollte. Aber ich kam von der Trage nicht runter. In dieser
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