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Die Rueckkehr des Henry Smart

Die Rueckkehr des Henry Smart

Titel: Die Rueckkehr des Henry Smart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roddy Doyle
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Überreste der Scheibe. Ein Hemd und ein gutes Tweedjackett stand zwischen mir und einem blutigen Tod. Das Jackett war ein altes von ihrem Mann. Ich schaffte es, nach innen zu greifen und die Tür aufzuschließen.
    Mit der Küche hielt ich mich gar nicht erst auf. Ich wusste, sie würde im Bett sein. Es war ein Wettlauf gegen irgendwas – die Zeit, den Atem. Die Treppe hoch und ins Schlafzimmer.
    Sie war nicht da.
    Seit Tagen war da niemand gewesen. Die Luft bewegte sich träge, nachdem ich die Tür aufgemacht hatte.
    Sie lag in der Küche. Auf dem Fußboden. Um ihren Kopf herum war geronnenes Blut, das ihr Gesicht ans Linoleum klebte. Aber sie war nicht tot. Ein Auge schaute mich an – meinen Fuß. Beobachtete mich, als ich mich hinkniete, um ihr Gesicht anzufassen und sie zu küssen. Sie war nicht kalt, sie war nicht tot. Das Haus war warm, sie war vollständig angekleidet. Strickjacke, Strumpfhose. Aber das Blut floss oder tröpfelte nicht, es lag trocken und rissig auf dem Boden.
    Sie sah mich an mit dem einen braunschwarzen Auge. Einem verängstigten, lebenden Auge.
    – Kannst du mich hören?
    Das Auge starrte. Kein Blinzeln. Keine Bewegung.
    Sie atmete. Meine Wange war an ihrem Mund. Ich spürte ihren Atem – der Raum war warm, der Atem ein wenig feucht.
    – Alles in Ordnung, sagte ich. – Das wird schon wieder. Warte mal ’ne Minute.
    Sie muss mich beim Aufstehen beobachtet haben. Ich brauchte dafür fast die ganze Minute. Sie muss gehört haben, wie ich in der Diele einen Krankenwagen rief. Sie muss gehört haben, wie ich wieder die Treppe hochging und mich mit den Decken von ihrem Bett und einem Kissen wieder nach unten kämpfte. Und als ich ihren Kopf hob, konnte sie mich auch wieder sehen – ich suchte nach Anzeichen von Schmerz in dem Auge, als ihre Haut und ihre Haare gegen das verkleisterte Blut kämpften und ich ihr das Kissen unter den Kopf zwängte. Aber ich sah keinen Schmerz. Ich legte mich daneben, um sie zu wärmen, und breitete die Decken über uns. Ich machte die Augen zu und gleich wieder auf, denn ich musste doch wach bleiben.
    Ich kam unter den Decken vor. Sie waren schwer, ich keuchte. Ich legte meine Hand auf ihre Stirn, hoffte auf eine Bewegung. Sie rührte sich nicht. Aber ihr Auge sah mich immer noch an – offen, angstvoll, wütend.
    Sie war hingefallen, so hatte ich mir das zusammengereimt, im Lauf des Tages oder in der Nacht davor. Oder an dem Nachmittag, dem Vormittag oder der vorvorigen Nacht. Sie hatte ihre Tageskleidung an, aber ob sie sich gerade erst angezogen hatte oder gerade hatte schlafen gehen wollen, hätte ich nicht sagen können. Sie war nicht kalt.
    Es ärgerte mich jetzt – verunsicherte mich –, dass wir nicht richtig zusammengelebt hatten, dass ich sie nicht gedrängt hatte, mich bei ihr einziehen zu lassen. Aber so hatten wir nie gelebt. Selbst in Chicago, in der kurzen Zeit, die wir zusammen unter einem Dach verbracht hatten, war es nicht unser Dach gewesen, und ich hatte mich selten darunter aufgehalten. Unsere glücklichsten Jahre waren kurz nach unserer Hochzeit gewesen, als wir beide auf der Flucht waren und unsere Abenteuer erlebt hatten, und die Jahre, nachdem wir aus Chicago entkommen waren, mit einer Familie, die in Gräben und Güterwagen aufwuchs. Aber wir hätten sesshaft werden sollen. Ich trug schon die Sachen ihres anderen Mannes, ich hätte aufs Ganze gehen sollen, verdammt. Ich hätte diese Scheißscheibe schon vor Jahren einschlagen sollen.
    Ich stand auf oder versuchte es wenigstens.
    Das Alter kam in jähen zornigen Wellen über mich. Eben noch fühlte ich mich bestens, dann war ich plötzlich ein Krüppel, zusammengekrümmt, mit Schmerzen in allen Gliedern. Meine Handgelenke, mein Rücken – alles tat weh. Aber das war jetzt nicht wichtig.
    Sie war hingefallen. Auf dem Fußboden war kein Kessel, keine Pfanne, kein Teller, kein angebrannter Porridge. Sie war einfach hingefallen und hatte sich den Kopf an der Tischkante angeschlagen. Das Blut war aus der Seite ihres Kopfes geschossen, die jetzt auf dem Kissen lag. Ich wollte sie nicht noch einmal bewegen, um mir den Schaden näher anzusehen. Ich wollte mich nicht noch einmal bücken. Das Auge war immer noch weit offen. Ich wollte nicht, dass sie sah, wie ich sie anstarrte. Sie hatte selber Schmerzen, da sollte sie, unbeweglich wie sie war, nicht noch meine ansehen müssen.
    Ich guckte mich um. Da war kein Teppich, über den sie hätte stolpern, der unter ihr hätte wegrutschen können.

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