Die Rückkehr des Sherlock Holmes
Sie haben nichts hinzuzufügen?«
»Überhaupt nichts, Sir.«
»Nun, dann muß ich Ihnen einige Vermutungen nahelegen. Als Sie sich gestern in diesem Sessel niederließen, taten Sie dies, um irgendeinen Gegenstand zu verbergen, der einen Hinweis auf den Eindringling gegeben hätte?«
Bannister wurde totenbleich.
»Nein, Sir; bestimmt nicht.«
»Es ist ja nur eine Vermutung«, sagte Holmes liebreich. »Ich gestehe ganz offen, daß ich sie nicht beweisen kann. Doch scheint es mir recht wahrscheinlich, da Sie, gleich nachdem Mr. Soames sich hinwegbegeben hatte, den Mann, der sich in diesem Schlafzimmer versteckt hielt, herausgelassen haben.«
Bannister leckte sich über die trockenen Lippen.
»Kein Mensch war dort, Sir.«
»Ach, das ist aber schade, Bannister. Bis jetzt hätten Sie die Wahrheit sagen können, doch nun weiß ich, daß Sie gelogen haben.«
Das Gesicht des Mannes nahm einen Ausdruck mürrischen Trotzes an.
»Kein Mensch war dort, Sir.«
»Ach kommen Sie, Bannister.«
»Wirklich, Sir; niemand war da.«
»In diesem Fall können Sie uns nicht weiterhelfen. Würden Sie bitte im Zimmer bleiben? Stellen Sie sich dort an die Tür zum Schlafzimmer. Nun, Soames, möchte ich Sie um den großen Gefallen bitten, zum Zimmer des jungen Gilchrist hinaufzugehen und ihn zu bitten, in das Ihre herunterzukommen.«
Bald darauf kam der Tutor in Begleitung des Studenten zurück. Es war ein Mann von schöner Gestalt, groß, geschmeidig und behende; er hatte einen federnden Gang und ein angenehmes offenes Gesicht. Er sah uns nacheinander mit seinen besorgten blauen Augen an und stellte sich schließlich mit einem Ausdruck blanken Entsetzens über Bannisters Anwesenheit in die hinterste Ecke.
»Schließen Sie bitte die Tür«, sagte Holmes. »Nun, Mr. Gilchrist, wir sind hier ganz unter uns, und niemand braucht je ein Wort von dem, was hier geschieht, zu erfahren. Wir können vollkommen offen zueinander sein. Mr. Gilchrist, wir möchten wissen, wie Sie, ein ehrbarer Mann, nur dazu kommen konnten, eine Tat wie die gestrige zu begehen?«
Der unglückliche Jüngling taumelte zurück und warf Bannister einen entsetzten und vorwurfsvollen Blick zu.
»Nein nein, Mr. Gilchrist, Sir; ich habe kein Wort gesagt – kein einziges Wort!« schrie der Diener.
»Richtig; nun haben Sie es aber getan«, sagte Holmes. »Nun, Sir, Sie werden einsehen, daß Ihre Lage nach Bannisters Worten hoffnungslos ist und daß Ihre einzige Chance in einem freimütigen Geständnis liegt.«
Einen Augenblick lang versuchte Gilchrist mit erhobener Hand seine Leidensmiene zu beherrschen. Dann aber fiel er neben dem Tisch auf die Knie, begrub sein Gesicht in den Händen und brach in ein heftiges Schluchzen aus.
»Kommen Sie, kommen Sie«, sagte Holmes freundlich. »Irren ist menschlich, und zumindest kann niemand Sie beschuldigen, Sie seien ein gefühlloser Verbrecher. Vielleicht wäre es leichter für Sie, wenn ich Mr. Soames erzählen würde, was vorgefallen ist, und Sie verbessern mich nur, wo ich unrecht habe. Soll ich? Nun, nun, Sie brauchen nicht zu antworten. Hören Sie zu, Sie werden sehen, daß ich Ihnen nicht Unrecht tue.
Von dem Moment an, Mr. Soames, da Sie mir sagten, daß niemand, nicht einmal Bannister, hätte wissen können, daß diese Papiere in Ihrem Zimmer seien, begann der Fall für mich eine bestimmte Form anzunehmen. Den Drucker konnte man natürlich außer acht lassen. Der hätte die Papiere ja in seinem eigenen Büro untersuchen können. Der Inder kam für mich ebenfalls nicht in Betracht. Wenn die Fahnenabzüge zusammengerollt waren, hatte er wohl kaum erkennen können, worum es sich dabei handelte. Andererseits hielt ich es für einen undenkbaren Zufall, daß sich ausgerechnet an dem Tag, an dem die Papiere hier auf dem Tisch lagen, jemand unterstanden haben sollte, dieses Zimmer zu betreten. Diese Idee ließ ich fallen. Der Eindringling wußte, daß diese Papiere hier waren. Woher wußte er es?
Als ich hierherkam, untersuchte ich Ihr Fenster. Ihre Unterstellung, ich dächte über die Möglichkeit nach, jemand sei bei hellichtem Tage, im Blickfeld all dieser Fenster gegenüber durch das Fenster eingestiegen, amüsierte mich. Eine solche Vorstellung war absurd. Ich habe nachgemessen, wie groß ein Mann sein müßte, um im Vorbeigehen sehen zu können, was für Papiere hier auf dem Tisch in der Mitte liegen. Ich selbst bin sechs Fuß groß, und ich konnte mit Mühe hineinsehen. Jeder Kleinere hätte keine Chance. Und schon
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