Die Rückkehr des Zweiflers - Covenant 08
Mit geschlossenen Augen saß sie da und nutzte alle übrigen Sinne, um abzuschätzen, was aus ihr geworden war.
Das Seewasser heilte Prellungen; es spülte den Stress und die Anstrengungen des Kampfes ab. Nichts davon konnte die emotionalen Schläge, die sie erlitten hatte, wettmachen, aber es befreite sie von den Folgen der Müdigkeit und der Entbehrungen, der tief in ihren Eingeweiden sitzenden Erinnerung an die Zäsuren, die sie passiert hatte, der greifbaren Wehmut ihrer vergeblichen Sehnsucht nach ihrem Sohn. Die unheimlichen Aspekte des Glimmermere erneuerten ihre körperliche Gesundheit und Kraft so wirkungsvoll, als hätte sie Aliantha geschlemmt.
Aber der See tat noch mehr. Ihre Sinne waren nun nicht länger durch Kevins Schmutz getrübt; sie brauchte dazu nicht länger den Stab des Gesetzes, dessen Nutzung Covenant ihr untersagt hatte. Als sie über sich selbst hinausreichte, spürte sie die verzweigte Üppigkeit des Grases unter sich, den unwägbaren Lebenspuls des Erdreichs und der Felsen darunter. Mahrtiirs Gegenwart jenseits der Hügel erspähte sie nicht; sie war zu schwach und sterblich, um sich gegen Glimmermeres Pracht behaupten zu können. Aber Linden ahnte die Fruchtbarkeit des Frühlings in der sanften Brise, und die leisen Vogelrufe waren wie eine Melodie. Der Reichtum des Sees war jetzt eine Lobeshymne, ein in der Sonne glänzender Ausdruck der freudigen Grundstimmung der Erde, sanft strahlend wie die Erdkraft selbst.
Ja, sie war selbstbewusster, selbstsicherer und stärker geworden, aber in anderer Beziehung hatte sich nichts geändert. Eisig kalt wie das Wasser brannte Covenants Ring zwischen ihren Brüsten, und ihr verwundetes Herz, ihre Trauer und Verzweiflung konnten auch nicht durch die üppige Kraft des Landes geheilt werden. Covenant und Jeremiah waren ihr wiedergegeben worden – und beide hatten von ihr verlangt, sie nicht anzurühren. Dieser Schmerz blieb.
Und trotzdem hatte sie sich verändert. Was auch immer kommen mochte – sie war bereit, ihm entgegenzutreten.
Mit sicheren Bewegungen und nun ohne Hast zog sie ihre Sachen wieder an, schlüpfte in die Stiefel und hob ihren Stab auf. Dann stieg sie ein kurzes Stück den Hügel in Richtung Schwelgenstein hinauf. An einer nahezu ebenen Fläche hielt sie inne, suchte und fand breitbeinig sicheren Stand, als stärkten ihre Erinnerungen an Thomas Covenant und seine Liebe ihr den Rücken. Über die Hügel hinweg blickte sie gen Süden, stemmte den Stab in das Gras und hielt ihn mit einer Hand umklammert, während sie mit der anderen den Weißgoldring aus ihrer feuchten Bluse zog und mit der Faust umschloss. Sie atmete tief ein, hielt einen Augenblick die Luft an und bereitete sich auf das Kommende vor. Dann hob sie ihr Gesicht gen Himmel.
Von ihrem jetzigen Standort aus sah sie erneut die Berge im Westen, hinter deren Gipfeln sich die Wolken verdichtet hatten. In ein paar Stunden würde es regnen, aber noch zerteilten die schroffen Felsgipfel die Wolken in hohe Feder- und Streifenformationen, die gen Osten zogen. Während Glimmermeres Wasser zwischen den Hügeln nach Süden strömte, spiegelte es das Sonnenlicht wider und glänzte wie ein diamantenes Halsband.
Jetzt!, dachte sie. Jetzt oder nie.
Mit erhobenem Kopf sagte sie leise, aber bestimmt: »Es wird Zeit, Esmer. Du hast genug Schaden angerichtet. Jetzt wird es Zeit, etwas Gutes zu tun. Ich brauche Antworten und kenne sonst niemanden, der sie mir geben könnte.«
Ihre Stimme schien ungehört ins Gras zu fallen. Nichts antwortete ihr außer Vogelgesang und das sanfte Fächeln der Brise.
Lauter fuhr sie fort: »Komm schon, Esmer. Ich weiß, dass du mich hören kannst. Du hast behauptet, der Verächter sei vor dir verborgen und du könntest mir nichts über den Aufenthaltsort meines Sohnes sagen, aber das scheinen die einzigen Dinge zu sein, die du nicht weißt. Alles, was hier geschieht, ist wichtig. Es wird Zeit. Entscheide dich, an wessen Seite du stehen möchtest. Ich brauche Antworten von dir.«
Nein, sie hatte keinen Grund zu der Annahme, er werde gehorchen. Vielleicht zog er es vor, dem Schmerz widersprüchlicher Ziele auszuweichen, indem er in der Vergangenheit des Landes blieb – in einer Zeit, in der er weder Cails Ergebenheit noch Kasteness' Hass dienen musste. Teufel, vielleicht war er sogar vor seiner eigenen Geburt aufgekreuzt, um ihr vor der Höhle der Wegwahrer zu helfen und sie anschließend zu verraten. Und die Dämondim hatte er natürlich aus einer Zeit
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