Die Ruhelosen
mir scheint?«
»Ja, wir kommen aus Triest.«
»Möchten Sie nicht gerne Schweizer werden?«
»Si! Natürlich! Nur, das ist nicht so einfach, das ist eine recht teure Sache, Monsieur …« Da nahm der Bundespräsident der Schweiz ihre Namen auf und versprach, ihnen ein Empfehlungsschreiben zu senden. Er fragte noch, wie viele sie seien, und Elia nannte die beiden Kinder und deren Namen, betonte, dass sein Ältester, Abel, sogar »Au Claire de la Lune« spielen konnte wie ein kleiner Gott, war ganz aufgeregt und verhaspelte sich vor lauter Exaltiertheit.
Als diese wenigen Formalitäten geklärt waren und sich der Herr Bundespräsident anschickte, zusammen mit seiner Frau den Salon zu verlassen, passierte etwas, mit dem niemand gerechnet hatte. Cheina rief mit ihrer selten benutzten, heiseren Stimme, die wie ein Schlepptau in den Raum hineinlangte: »Arretez!«, die beiden drehten sich nach ihr um und warteten, bis sie sich gesammelt hatte, dann sagte sie mit starrem Blick: »Merci, au nom de Dieu, merci. Mazel tov.«
Und so war es denn dazu gekommen, dass am 15. Februar 1922 rund hundert Kilometer von Peuchapatte entfernt, fünf Jahre und drei Monate nach François Schön die Familie Israël in der Gemeinde von Préverenges das Bürgerrecht zugesprochen bekam. In den Papieren hieß es, Elia sei ein arbeitsamer Mitbürger und habe sich mit einer excellenten Führung verdienstvoll gemacht. Mit diesem Bescheid in derTasche konnte er das unstete Leben als Musiker, damals im Lausanner Kursaal engagiert, endgültig an den Nagel hängen und sich ganz seiner neuen Entreprise, einer kleinen Hutfabrik an der Rue Madeleine in Lausanne, widmen. Die Ladeneröffnung an der Rue du Bourg 8 war da bereits beschlossene Sache. So wurde aus Elia Costantino Israël, einem Chef d’Orchestre, Entrepreneur in Sachen Hüte.
Die Rue du Bourg war ein Glücksfall. Bekannt dafür, dass in ihr jede und jeder in einer der zahlreichen Aubèrges ein Obdach für die Nacht fand, war sie der ideale Standort für ein Hut- und Sportmützengeschäft. So viel Auf und Ab, so viel Laufkundschaft, so viele Passanten. Die Zeiten des Trinkgeldzusammensparens waren passé.
Natürlich kleidete Elia auch seine Kinder mit Mützen und langen Schals ein, und in den schmalen Anzügen mit den andersfarbigen Hosenumschlägen, dem Seidentuch im Brusttäschchen und der Krawatte, die immer tadellos sitzen musste, sahen seine
fils
ja wirklich aus wie lebendige Schaufensterpuppen. Wie Mannequins wurden sie ins Atelier geschleppt und abfotografiert, ihre Bilder zierten die Hutauslage und wurden regelmäßig ersetzt.
Dass diese Kinder zudem eine ordentliche Musikausbildung genießen durften, war ein Beschluss, der keinerlei Verständigung zwischen Elia und Cheina erforderte. Abel, das Wunderkind, lernte nebst Violine Klavier, Flöte, Querflöte, Saxophon, und je nach Gelegenheit gab man ihm auch ein Akkordeon in die Hände. Pierre musste Klavier spielen und des Vaters Cello übernehmen, eine Trompete hätte doch nicht gepasst, für Rochelle waren ebenfalls das Cello und die Geige vorgesehen, und sollten noch mehr Kinder kommen, gäbe es ja immer noch die Gitarre, das Schlagzeug oder das Fagott. Ab und an, auf spezielle Anfrage hin, spielte Elia mit seiner Frau für eine einzige Soirée im Kurhaus oder einem Grand Hotel, lieber aber schickteer den Abel vor. »Was machen wir, wenn er ins heikle Alter kommt?«, war eines der seltenen Male, dass seine Frau das Wort an ihn gerichtet hatte. Was er in ihrem Gesicht ablesen konnte, war weniger Bange denn Enttäuschung und vorweggenommene Wut, und er wischte diese Möglichkeit fort, indem er sagte: »Dann stellen wir einfach ein nettes Mädchen ein, das sich um ihn kümmert. Das wird ihn wohl im Hause halten.«
Dass eines ihrer Kinder je alleine durch die Straßen gebummelt wäre, war vollkommen ausgeschlossen. Ihr Tag war streng strukturiert, ein lückenloser Stundenplan von Musizieren, Lernen und Benimmunterweisung, da blieb keine Zeit für Eskapaden. Insgeheim verachtete Elia das lose Volk Lausannes, das die Rue du Bourg auf und ab promenierte, neugierig, gierig, verwundert oder verzückt in die Schaufenster starrte, mit Blicken die Auslagen abtastete, bis die Hände sich nicht mehr zurückhalten konnten, wie es Geld ausgab, wie es kaufsüchtig und scheinbar ohne jede Scham von den Librairies Payot über den Pianohandel Weissenstein zur Parfumerie La Chotte wanderte, Pakete unter den Arm geklemmt, die Kleider gerafft, wann
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