Die Ruhelosen
vier der sieben Welpen bereits weggegeben und platziert worden waren, auch die Zuneigung. Keiner der beiden hätte den genauen Ablauf beschreiben können, über den sie zum Paar geworden waren. Emma, ganz mit der Aufzucht und Erziehung der Welpen beschäftigt, hatte des Öfteren bei den Senigaglias zu Mittag gegessen und augenfällig über deren Familienleben gestaunt: »Es ist alles so echt bei euch! Bei uns ist alles immer
artificiel
, künstlich! Bei euch gibt es geregelte Mittagszeiten, einen festen Ablauf bei Tisch und Essen, das tatsächlich schmeckt!«
Und Nunzio Amadeo, freiberuflicher Journalist mit einer ansehnlichen Artikelhistorie bei der TAT, der Abendzeitung des Migros Genossenschaftsbundes, später Inlandmitarbeiter der Nachrichtenagentur United Press International sowie seit kurzem auch beim deutschen Spiegel, hatte sich in die kleine, vierzehn Jahre jüngere, lebhafte Emma verguckt. Ihm gefiel, wie gelehrig sie war. Wie sie geradezu dürstete nach Bildung und sich von ihm über die Geschehnisse in der Welt aufklären ließ. Ihm gefiel, wie geduldig sie mit den Hunden umging, so dass er seine Eltern gern dazu überredete, dieser ungewöhnlichen Mieterschaft die vier Haustiere zu bewilligen. Und ihm gefiel, dass sie ab und an sang, kleine Auftritte bei Galas bestritt trotz ihrer Coiffeurlehre, die sie fast schlafwandlerisch sicherabsolviert hatte; es erfüllte ihn mit einem geborgten Stolz, dass sie das Liedersingen nicht ganz aufgab und er durch sie die eigene Bühnenleidenschaft auf den Zuschauerrängen ausleben konnte.
Ihre Schwangerschaft war für alle eine große Überraschung gewesen. Ihr dicker Bauch ein Affront. Abel meinte, so könne sie nicht mehr auf die Bühne, und Mondaine bedauerte, dass sie ihre Tochter zu Hause zurücklassen musste, während sie neuerdings in teuren Boutiquen als reife Dame das Mannequin mimte.
Auch Emma staunte über ihre Ausmaße. Sie fühlte sich wie ein Ballon und bald nirgends mehr zu Hause. Sollte sie noch oben wohnen bleiben, bei den Hunden und den Eltern? Oder einfach ein Stockwerk tiefer ziehen zu diesem so unglaublich intelligenten, gescheiten Mann mit dem flachsblonden Haar? In sein Zimmer, bei seinen Eltern? Oder würde man nun doch als Mann und Frau, denn heiraten musste man ja wohl, in die Zweizimmerwohnung ziehen, die im Hause frei geworden war? Alles war plötzlich so verwirrend für Emma, einmal mehr in ihrem Leben wusste sie nicht, wo sie zugehörig war. Nirgends fühlte sie sich willkommen, außer in den Armen dieses Mannes, der ihr immerzu sagte, sie solle sich den Kopf nicht zerbrechen. Gerade das aber verunsicherte sie, erklärte er ihr doch sonst immer alles und jedes bis ins kleinste Detail, auf dass sie lernte und sicher würde – dieses hier erkärte er ihr nicht. Über die Lage, in der sie sich wähnte, mit einem Kind, das in ihrem Bauch nach ihr trat, und ohne Gewissheit über ihr eigentliches Nest, das ihr hätte Zuhause sein können, wurde sie mürrisch und bockig und zusehends missgelaunt. Es war kein Auskommen mehr mit Emma in diesen Tagen. Nichts war recht, alles enervierte sie. Wenn sie im einen Moment noch zufrieden in sich oder in die Halskrause eines ihrer Hunde hineingurrte, so konnte sieim nächsten explodieren. Man kam ihr besser nicht zu nahe, man ließ sie besser sein. Dann war sie wie eine Schallplatte auf dem Plattenteller eines Apparates, der über die passende Abspielgeschwindigkeit einfach nicht verfügte.
Und dann kam auch noch der Streit, den Nunzio mit seinen Eltern vom Zaun gebrochen hatte, es musste ja immer alles nach seiner Pfeife tanzen, er, der große Organisator, der über alles bestimmte und alles in seiner Hand hatte, weil er es im Kopf hatte, detailliert zurechtgelegt hatte und klar und der Reihe nach aufgelistet. Emma ward ganz bang bei seiner Mitteilung, man würde demnächst ausziehen. Wenn sie von etwas genug hatte, dann waren das Umzüge. Abschiede und Neuanfänge. Zugvogeltum und Heimatlosigkeit. Unruhe und Rastlosigkeit. Sie protestierte, er ignorierte. »Es ist entschieden, Emma. Meine Eltern haben nein gesagt zum Ausbau der oberen Wohnung, jetzt sage ich nein zu unserem Verbleib in diesem Haus.«
»Für einen Mann wie ihn wird es auch Zeit, auszuziehen, Emma«, so ihre Mutter.
»Man kann nicht immer am Rockzipfel der Eltern hängen bleiben«, so ihr Vater.
»Ich will euch aber nicht verlassen!«, so Emma und hätte hinzufügen können:
Ich bin doch selber noch ein Kind.
Keine drei Wochen
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